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Filmkolumne (II): Wie schreibt man eigentlich ein Drehbuch?

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Wenn man ein Drehbuch schreiben will, gibt es drei Wege, die man gehen kann. Sebastian, Ralf und ich gingen alle drei:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

1. Lektüre: Ich glaube, es gibt ebenso viele Theorien zum Drehbuchschreiben wie Drehbücher, denn jeder, der irgendwann einmal ein einigermaßen erfolgreiches Drehbuch geschrieben hat, fühlt sich berufen, danach ein Buch über das Drehbuchschreiben zu schreiben. (Ich vermutlich auch.) Am Anfang fanden wir das noch ziemlich lustig, im Laufe der Zeit wurde das Lesen dieser Bücher jedoch eher langweilig, denn letztendlich läuft es ja doch immer auf die Dreiaktstruktur hinaus: Junge kriegt Mädchen, Junge verliert Mädchen, Junge erobert Mädchen zurück, kennt man ja. Es hat einen Grund, dass dieses Schema mit zwei Wendepunkten so gebräuchlich ist. Geschichten funktionieren so am besten. Filme außerhalb dieses Schemas misslingen entweder total oder werden zum Riesenerfolg. Der Riesenerfolg ist auch unsere Taktik, denn die Fragen für ein 08/15-Drehbuch konnten wir nur unzulänglich beantworten: Hat ihre Geschichte eine Hauptfigur? Nicht so richtig. Ist Ihre Hauptfigur sympathisch? Geht so. Kann Ihre Hauptfigur den Konflikt lösen, der ihr zu Beginn gestellt wird? Eigentlich nicht. Wir fielen in eine kleine Sinnkrise. Regel 2: Nicht jeder Film muss mit einem Kuss enden. Man sollte einfach mal was anderes ausprobieren, so wie es alle großen Filmklassiker auch getan haben. 2. Drehbuch-Workshops: Um unsere Geschichte zu retten, meldeten Sebastian und ich uns zu einem Drehbuch-Workshop an. Anscheinend hatten wir Glück. Der Leiter des Workshops verkündete, dass es eine Methode gäbe, die in einer Viertelstunde ein Dreivierteljahr Arbeit erspare. Sowas klingt ja immer besonders viel versprechend und halbbegeistert begaben Sebastian und ich uns mit den anderen Teilnehmern in den Nebenraum, wo wir die „Drehbuchaufstellung“ kennen lernten. „Wir stellen jetzt die Szene: Eine 15-Jährige sucht Arbeit, auf“, sagte der Workshop-Leiter. Er packte mich am Arm, schubste mich in die Mitte, weil ich die Kleinste war, und sagte, dass ich die 15-Jährige sei. Eine andere Teilnehmerin durfte dann die übrigen Komponenten auswählen und sie in Gestalt anderer Kursteilnehmer so um mich herum platzieren, dass dieses „ganz spezifische Gefühl rüberkomme“. So schaute am Ende hinter mir ein Junge aus dem Fenster, der „Deutschland“ verkörperte. Vor mir starrte mich ein Mann an, der die „Arbeitslosigkeit“ darstellte und irgendwo daneben stand die „Regierung“ rum und kratzte sich fragend am Kopf. Der Workshop-Leiter fand am Anfang, dass die „Arbeitslosigkeit“ zu weit von mir weg stand und stellte sie zehn Zentimeter näher zu mir. Das war sehr wichtig für das Drehbuch. Dann war er völlig aus dem Häuschen. „Seht ihr“, sagte er, „da haben wir es doch: Eine 15-jährige sucht Arbeit. So wie ich es gesagt habe.“ Anscheinend hat man nach dieser Aufstellung ein viel besseres Gefühl für die Szene und kann dieses in ein hervorragendes Drehbuch umsetzen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

3. Do-it-yourself: Letztendlich haben wir uns auf uns selbst verlassen. Wir haben gute Filme gesehen, Zeitpläne gezeichnet, denn unser Film spielt zu Aristoteles’ Freude komplett an einem Tag, und wir haben uns mit unseren Figuren angefreundet. Dann habe ich geschrieben. Für die erste Fassung habe ich ein halbes Jahr gebraucht – 90 Seiten, denn man rechnet pro Seite mit einer Filmminute. Als ich fertig war, dachte ich, alles wäre gut, doch letztendlich blieb von der ersten Fassung fast nichts übrig, denn wir begannen unsere Drehbuchbesprechungen. Dabei kristallisierten sich drei verschiedene Drehbuchbesprechungscharaktere heraus: Sebastian - Der kreative Formulierungslegastheniker: Er hat stets die besten Vorschläge, ist jedoch völlig unfähig, diese in vernünftige Sätze zu verpacken. Von ihm stammen die grandiosen Formulierungen: „Die Schlinge zieht sich enger.“ und „Direkt aus dem Herzen.“, die er heimlich in die aktuellste Drehbuchversion schmuggelte, um später zu fragen, wer eigentlich solch einen Mist verfasst habe. Ralf - Der meinungslose Diplomat: Er verhält sich die meiste Zeit ruhig. Er stimmt den beiden anderen Parteien stets zu, auch wenn ihre Vorschläge sich widersprechen. Dadurch verhindert er, dass eine Mehrheit und damit eine Entscheidung zu Stande kommt. Er ist jedoch auch der einzige, der intelligent genug ist, logische Fehler im Drehbuch zu entdecken. Nadine - Die Drama-Queen: Bei Drehbuchbesprechungen ist sie eine tickende Zeitbombe. Sie verträgt keine Kritik und jede Einmischung in die Dialoge sieht sie als Untergrabung ihrer Autorität an. Sie droht dem Regisseur manchmal damit, ihm nicht die Rechte an ihrer Geschichte abzutreten. Es heißt, man müsse jede Drehbuchseite 60 Mal geschrieben haben bis sie perfekt ist. Wir schafften in den eineinhalb Jahren Vorbereitungszeit drei Fassungen. Dafür haben wir uns umso intensiver mit ihnen beschäftigt. Manchmal stritten wir um jedes Wort. Einmal haben wir uns mitten auf der Straße angeschrieen. Weil ich ein Mädchen bin, hab ich dann geweint und die Jungs erlaubten mir, den Dialogsatz so zu lassen, wie ich ihn wollte. Damit war ich dann so zufrieden, dass ich in unser Büro gegangen bin und ihn geändert habe.

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