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„Da dreht sich viel, aber ohne Auswirkungen“

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Es ist der vielleicht größte Marketing-GAU des Jahres. Nach dem Amoklauf  in einem Kino in Aurora, Colorado, schwirrte der Name der Stadt als sogenanntes Trending Topic durch die sozialen Netzwerke. Ein Online-Modeshop nutzte das aus, warb auf Twitter für ein gleichnamiges Kleid aus seiner Kollektion. Die Empörung war riesengroß. Doch für den Modehändler wird die weltweite Aufmerksamkeit keine Konsequenzen haben, sagt Social-Media-Experte Bastian Scherbeck (32) im Interview.




jetzt.de: Herr Scherbeck, mit einem Amoklauf Werbung für sich machen, so dämlich kann doch keiner sein!
Bastian Scherbeck: Ich habe mir auch an den Kopf gelangt. Grundsätzlich ist es ja sehr beliebt, sich an ein Trending Topic auf Twitter dranzuhängen. Aber so unreflektiert darf das natürlich nicht passieren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Glauben Sie, dass jemand bewusst Aufmerksamkeit gesucht hat?
Ehrlich gesagt, das kann ich mir nicht vorstellen. Es gibt viele kleinere, unerfahrenen Social-Media-Agenturen, da twittert der Praktikant, der von Unternehmenskommunikation keine Ahnung hat. Der sieht dann so ein Thema und springt einfach drauf. Es kann natürlich sein, dass die sich gedacht haben: ‚Hey, schlechte PR ist besser als keine PR!’ Aber dass jemand so perfide ist und ein Massaker ausnutzt ...

Interessiert dieser Shitstorm in zwei Wochen noch jemanden?
Nö (lacht). Die Medien werden das Thema noch für ein paar Tage bespielen. Aber die Frage ist ja: Interessiert das schon jetzt noch jemanden abseits der PR- und manchmal sehr selbstbezogenen Social-Media-Landschaft? Auch wenn dieser Vorfall ganz furchtbar ist – ich würde sagen, dass es nur ein Sturm im Wasserglas ist. Und das hat nichts mit Aufmerksamkeitsgenerierung zu tun.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Also muss die Firma keine Langzeitschäden befürchten?
Suchmaschinen erfassen eigentlich nur Blogeinträge, davon gab es in diesem Fall schon einige. Aber langfristig wird das keine negativen Effekte nach sich ziehen. Da hat sich die Social-Media-Landschaft einmal selbstreferentiell gedreht. Die Kunden des Portals haben davon wahrscheinlich gar nichts mitbekommen.

Zieht öffentliche Empörung in sozialen Netzwerken überhaupt keine Folgen nach sich?
Das kommt ein bisschen darauf an, welche Netzwerke man bespielt. Wenn ich als Firma auf Facebook aktiv bin, dann kann ich die Kommunikation ganz gut lenken. Facebook ist in sich sehr geschlossen. Aber auf viel gelesen Blogs hat das schon mittel- bis langfristige Wirkungen.

Ist Aufmerksamkeit in digitalen Medien überhaupt noch positiv oder negativ besetzt? Oder muss man einfach auffallen?
Man kann schon sehr genau ablesen, ob Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken positiv ist oder nicht. Man kann Aufmerksamkeit das lenken, und man kann das auch positiv besetzen.

Wie macht man das?
Indem ich mich mit dem befasse, was meine Follower oder Nutzer interessiert, was ihre Bedürfnisse sind. Und dann eine Verbindung aufbaue zwischen ihren Interessen und meiner Marke. Das ist oft nicht einfach. Ich muss mir ja erst einmal die Regeln aneignen, die in dem jeweiligen Netzwerk gültig sind. Wir haben in unserer Agentur für einen Spielzeughersteller eine Anwendung auf Facebook geschaltet. Dort können sie ihr Lieblingsgerät aus ihrer Kindheit teilen, Fotos hochladen, das weckt positive Erinnerungen. Und so generieren sie in ihrem Umfeld Aufmerksamkeit. Wir sagen unseren Kunden aber auch: Viralität ist ein Ergebnis, keine Strategie. Ich kann nicht garantieren, dass ich über soziale Netzwerke Aufmerksamkeit wecke.

Also wird die Jagd nach Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken völlig überschätzt?
Das kann man so sagen. Da dreht sich immer viel, aber oft ohne Auswirkungen, zum Beispiel auf die Verkaufszahlen eines Unternehmens. Wie ein Sturm im Wasserglas, der sehr schnell wieder abflaut.






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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert




Der Text erscheint im Rahmen einer Kooperation mit der Deutschen Journalistenschule. Deren 50ste Lehrredaktion hat unter dem Titel Franz Josef ein junges politisches Magazin erstellt, das im September erscheint. Bis dahin kann man ihm auf Twitter, Tumblr und Pinterest folgen.

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