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Fast jeder tut es, da kann man sich so gut wie sicher sein. In regelmäßigen Abständen bestätigen Untersuchungen, dass der Großteil der Menschen ganz gerne alleine Sex hat. Im vergangenen Herbst erschien eine der umfangreichsten Studien, die je über das Sexleben der Amerikaner durchgeführt wurde. Etwa 60 Prozent der Männer sagten darin, sie hätten im vergangenen Monat onaniert. Über die Hälfte der Frauen hatten in den vergangenen 90 Tagen masturbiert. Und unter den 14- bis 24-Jährigen ist der Selbstsex die Form, die sie am häufigsten praktizieren. Und diese Studie ist bei weitem nicht die mit den höchsten Werten.

Trotzdem liegt über dem ganzen Thema ein seltsamer Schleier der Peinlichkeit. Selbstbefriedigung kommt als Gesprächsthema nicht in Frage, höchstens als kleine witzige Seitenbemerkung. Man redet nicht freiwillig darüber, man wird gezwungen, zum Beispiel, wenn sich eine kleine Gruppe nach ausgiebigem Alkoholgenuss zu einer „Wahrheit oder Pflicht“-Runde aufrafft.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Man schweigt darüber aber nicht, weil sowieso alles klar ist, weil es nichts zu sagen gäbe, da es sowieso jeder tut und man keine weiteren Worte darüber zu verlieren hätte. Sondern weil es unangenehm ist. Offen zur Selbstbefriedigung zu stehen, passt einfach nicht in die sexuelle Leistungsgesellschaft, in der ein erfülltes Sexualleben sich ausschließlich darüber definiert, wie oft man ganz tollen Zu-Zweit-Sex hat. Wer einen Partner, Affären oder zumindest hin und wieder ein Gschpusi hat, ist begehrenswert. Wer mit sich alleine ins Bett geht, nicht. Sex ist das Original, Selbstbefriedigung das schlechte Cover. Sex ist die Droge, Selbstbefriedigung der Ersatzstoff.

Außerdem sorgen noch immer Überbleibsel aus der prüden Zeit unserer Eltern und Großeltern dafür, dass der Selbstbefriedigung das Label der Minderwertigkeit anhaftet. Noch in medizinischen Lehrbüchern der Sechzigerjahre galt Masturbation als „widernatürliche Selbstbefriedigung des Geschlechtstriebs bis zum Eintritt des Orgasmus“, und bei übertriebener Anwendung sogar als Auslöser von Depressionen und paranoiden Reaktionen. Solche Lehrmeinungen gelten mittlerweile als überholt, aber die Angst, dass der Selbstbefriedigung Gefahren innewohnen, hält sich in den Bravo-Foren bis heute (Kann ich davon süchtig werden?).

Dabei ist Alleine-Sex etwas Schönes. Enttäuschungen sind ausgeschlossen, der Orgasmus garantiert. Und Selbstbefriedigung gibt uns die Unabhängigkeit, dann Sex zu haben, wann wir wollen. Wir selbst stehen uns nun mal zu jeder Zeit zur Verfügung. Kein Anmachen, kein Rumkriegen ist nötig. Kein müder Partner, der auf Streichelattacken nach dem Zubettgehen mit Brummen und Wegdrehen reagiert und uns mit unserem Beischlafwillen alleine lässt.

Aber es geht gar nicht nur um Selbstbefriedigung als Ersatzdroge. Im Gegenteil, man könnte sie manchmal auch mit einem Film vergleichen, den man sich noch mal und noch mal anschauen möchte, weil er so gut war. Der Sex mit dem Partner erfährt genau genommen doch eine Aufwertung, wenn man ihn in Gedanken noch mal wiederholt.   Zugegeben – dieser Fall ist nicht die Regel. Es ist ja nicht immer – oder: nur manchmal – der eigene Partner, den man sich vorstellt. Wenn es so wäre, wäre Jessica Alba keine hochbezahlte Schauspielerin und die Geilmacherindustrie von Playboy bis Youporn wäre nicht so erfolgreich. Sex mit sich selbst ist oft ein Ventil: für die Sehnsucht nach Abwechslung, die einen hin und wieder überkommt; für Wünsche, die mit den Vorlieben des Partners nicht kompatibel sind; und für Praktiken, die man vielleicht nicht mal unbedingt in Echt ausprobieren möchte, die zurückgelehnt im Sessel des Kopfkinos betrachtet aber ganz hübsch daherkommen. Was man sich beim Selbstsex vorstellt (oder in der Porno-Variante: anschaut), muss man nur mit sich selbst ausmachen – und mit niemandem sonst.   

Zusammen oder alleine? Die meisten Dinge kann man entweder mit anderen oder nur mit sich selbst tun. Manchmal ist Einsamkeit eine Notlösung, ein andermal wünscht man sich nichts sehnlicher als ein bisschen Ruhe vor anderen Menschen. Und oft ist es im Voraus unmöglich zu entscheiden, welche der beiden Optionen die bessere ist. Deshalb haben wir dem der Frage „Zusammen oder Alleine“ heute ein Gegensatz-Magazin gewidmet. Es geht ums Zusammenwohnen und Sex mit sich selbst. Um das Verreisen ohne Begleitung und das Sporteln ohne Freunde. Ums Herdenschreiben und Orte, an denen Gemeinschaft künstlich hergestellt werden muss.


Text: max-blattgoldt - Foto: >aNnA / photocase.com

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