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Sport hielt ich bis vor kurzem für absolut unnötig. Im Schulsport fälschte ich Entschuldigungen, bei den Bundesjugendspielen war ich zufälligerweise immer krank. Außerdem gab es auch gar keine Sportart, die mir zusagte. Fahrradfahren vielleicht. Meine Ballphobie ließ mich vor jeglichen Ballsportarten von Volleyball bis hin zu Tischtennis zurückschrecken. Für’s Tanzen war ich eigentlich immer zu haben, aber bei Hip-Hop-Turnieren mit jogginghosentragenden Mädchen, die sich 2Pac Bänder um den Kopf banden, antreten? Nein, danke. Zudem kam meine Ungeschicklichkeit, die mich in der siebten Klasse beim Reckturnen schon einmal ein blaues Auge gekostet hat. Kurz gesagt: Sport und ich waren kein gutes Team.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Doch dann kam der Januar. Die Tage schienen immer kürzer zu werden, es war kalt und die Unzufriedenheit mit meinem Körper wuchs. Nicht einmal Fahrradfahren ist im Januar möglich. Also sprang ich über meinen Schatten und ging ins Schwimmbad. Ganz alleine, an einem Dienstagmorgen. Das Wasser war genau so kalt, dass ich bei einem kurzzeitigen Verweilen Gänsehaut bekam. Also schwamm ich. Eine Stunde. Wenn man das hier liest oder erzählt, dann hört sich eine Stunde wahnsinnig wenig an. Wenn man jedoch bei jeder Bahn einen Blick auf die große Schwimmbaduhr wirft und die Zeit nur zu dahinzuschleichen scheint wie die Renter, die sich beim Aquatraining angemeldet haben, dann kann eine Stunde eine verdammt lange Zeit sein. Aber es war gut, ich fühlte mich erledigt und hatte eine ganze Stunde Zeit zum Nachdenken gehabt.  

In der Straßenbahn nach Hause aß ich einen Apfel. Einfach, weil es gesund und sportlich wirkte. Ich fühlte mich wirklich besser. Zwei Mal in der Woche wollte ich von nun an schwimmen gehen. Spätschwimmen war billiger, also machte ich mich von nun an um neun Uhr auf in die kalten Winternächte. Ich erzählte meinen Freundinnen ganz stolz davon, alle zogen ihren Hut. Wie ich das schaffen konnte, abends noch bei dieser Kälte. Sowieso bräuchten sie nur jemanden, der sie ein wenig motivierte. „Klar, komm doch mit!“, sagte ich damals zu jeder einzelnen. Bis ich mich versah, hatte ich jede Woche eine andere Begleitung. Toll, dachte ich, so wird Sport gleich viel unterhaltsamer.  

Doch plötzlich machte ich mir Gedanken, was ich anziehen sollte, bevor ich zum Schwimmen ging. Kontrollierte, ob ich mich nicht doch noch einmal rasieren sollte. Davor schwamm ich nur mit Rentnern im selben Becken, die nicht einmal mehr ihren eigenen Körper scharf sahen. Die es nicht interessierte, ob meine Beine perfekt rasiert waren oder die Teile meines Bikini zueinander passten. Und auch wenn es meine Freundinnen vielleicht genauso wenig interessiert hätte, hatte ich nun mal das Gefühl etwas mehr darauf zu achten, wie ich ins Schwimmbad ging. Hinzu kam, dass ich nun auch nicht mehr schwimmen gehen konnte, wann ich es wollte. Manchen war halb zehn zu spät, auf andere musste ich erst draußen vor dem Schwimmbad warten.  

Schnell wurden die gemeinsamen Schwimmstunden zu einem gemütlich-im-Wasser-Rumgestrampel. Ich wollte nicht die Spielverderberin sein, schließlich unterhielt ich mich auch lieber als zu schwimmen. Manchmal kam allerdings dieser Punkt, an dem ich merkte, dass wir jetzt noch ein bisschen was tun sollten, bevor sich der Eintritt gar nicht mehr lohnen würde. In diesen Momenten kann man doch nicht sagen: „Hey, lass uns doch mal weitermachen. Du redest mir zu viel!“ Oder etwa doch? Ich habe es auf jeden Fall nicht getan. Genauso wenig kann man ein "Also bis nächste Woche!" mit einem "Ich würde gerne einmal wieder alleine schwimmen gehen." beantworten. 

Aus zwei Mal wurde letztendlich null Mal Schwimmen pro Woche. Irgendwie habe ich eines Tages einfach vergessen, dass ich schwimme gehen sollte und dieser Tag liegt mittlerweile so weit zurück, dass ich mich gar nicht mehr erinnern kann, wann ich das letzte Mal im Schwimmbad war. Meine Freundinnen gehen ab und zu noch schwimmen, jedoch alleine.

Zusammen oder alleine? Die meisten Dinge kann man entweder mit anderen oder nur mit sich selbst tun. Manchmal ist Einsamkeit eine Notlösung, ein andermal wünscht man sich nichts sehnlicher als ein bisschen Ruhe vor anderen Menschen. Und oft ist es im Voraus unmöglich zu entscheiden, welche der beiden Optionen die bessere ist. Deshalb haben wir dem der Frage „Zusammen oder Alleine“ heute ein Gegensatz-Magazin gewidmet. Es geht ums Zusammenwohnen und Sex mit sich selbst. Um das Verreisen ohne Begleitung und das Sporteln ohne Freunde. Ums Herdenschreiben und Orte, an denen Gemeinschaft künstlich hergestellt werden muss.

Text: anja-schauberger - Foto: vandalay / photocase.com

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