Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Geheimes Gesetz (3): Das Festivalfieber

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Das Festival-Gesetz: Auf Festivals darf sich niemand normal benehmen oder friedlich der Musik lauschen. Verkleidungen, exzessive Räusche und Grenzüberschreitungen aller Art sind Pflicht.

Alles begann mit Wasser und Dreck. Als in Woodstock einige Hippies die Regeln brachen, ahnten sie nicht, dass sie damit das Geheime Gesetz aller nachfolgenden Festivals erließen. Denn seit dem berühmtesten Schlammbad der Geschichte muss auf musikalischen Mehrtagesfahrten maximal eskaliert werden. Unauffälliges Benehmen ohne Vollrausch oder Verkleidung scheint seit 1969 verboten. 

Die buntgesponsorten Events, die heutzutage öde Brachen in Abenteuerspielplätze für junge Erwachsene verwandeln, zeigen die Verzweiflung, mit der viele das Gesetz der Festival-Manie befolgen. Keine improvisierte Verkleidung aus Melonen, Bierdosen und ausgezogenen Klamotten schockt noch. Kein Schlachtruf, sei er über Jahre international etabliert oder spontan erfunden, lässt noch aufhorchen. Kein Rausch ist krass, keine Aktion bescheuert, keine Nacktheit obszön genug. Ballert man sich noch so viel Schnaps durch einen Schlauch direkt in den Magen, unter dem Jubel vermeintlicher Freunde, die nur auf eine möglichst spektakuläre Rückkehr der Flüssigkeit aus den Eingeweiden hoffen – einer wird immer voller sein und weiter kotzen. Fährt man zu dritt im Einkaufswagen übers Gelände, wird man von fünf Nackten mit einem rosa Trabi überholt. Weckt man morgens um sieben den halben Zeltplatz mit einer unerhörten Trance-Version von „Westerland“, antworten Tausende von Watt mit Wolle Petry.  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Dieses Rennen um die Extreme kann man nicht gewinnen. Doch wer aufgibt und den Verrücktheiten entsagt, fühlt sich schnell als Außenseiter. Wer ernsthaft zu den Auftritten pilgert und euphorisiert, aber vollständig bekleidet und halbwegs zurechnungsfähig zu einem intakten Zelt heimkehrt, ist ein Paria, dem nur eine Bierdusche helfen kann. Er hat kein Recht auf Schlaf, keine Gnade hinsichtlich Lautstärke oder Hygiene verdient. Er ist aus den falschen Gründen hier, wähnt sich langweilig, sehnt sich nach Wanderurlaub.  

Schon ranken sich Gerüchte um Festivals, auf denen keine Bands mehr spielen. Stattdessen gibt es dort von Duschgelkonzernen gestellte Schlammbäder und Trendgetränke satt, Kostümwettbewerbe und Alkometer. Damit man auch weiß, wer gewinnt. Denn zu diesen Festen fährt man nur, um mit einigen Tausend anderer Exzentriker um die Wette zu flippen. Ohne lästige Unterbrechung durch Konzerte kann man dann nonstop die Sau rauslassen. In Woodstock hat schließlich auch niemand wirklich zugehört. Der überlieferte Höhepunkt der Mutter aller Festivals war kein Gitarrensolo, keine Gänsehautzugabe, kein Chorgesang aus zehntausenden Kehlen. Sondern ein genialer Musiker namens Hendrix, der seine Gitarre anzündete, während vor ihm die Wilden im Matsch tanzten.

  • teilen
  • schließen