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Wir waren 13 Jungs, ein Jahr vor dem Abi, und alles war klar – Führerschein machen, die Entschuldigen nur noch selbst schreiben, sich von den Deppen unter den Lehrern nur noch mit „Sie“ anreden lassen, endlich erwachsen sein. Und natürlich, auch das war selbstverständlich: zur Musterung gehen, alles lächerlich machen und dem gequält guckenden Typen vom psychologischen Dienst auf die Frage, welche Truppengattung einen denn interessieren würde, rotzig antworten: „Ich verweiger´ sowieso.“ War alles klar.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wir waren 13 Jungs, und genau ein einziger wollte zur Bundeswehr gehen. Er hatte keinen Spaß im Jahr vor dem Abi. Bundeswehr, das war ein Begriff wie Beulenpest, fremd und hässlich. Bundeswehr, das waren die besoffenen Typen, die durch die Fußgängerzone torkelten und jede Frau bequatschten, ihren Namen auf seltsame Pullis zu schreiben, und wenn sie sich nicht in der Fußgängerzone aufhielten, dann in den Bord-Bistros der Deutschen Bahn, beladen mit Seesäcken und schlechten Geschichten. Bundeswehr, das war was für Verlierer. Martin, der trotzdem hin wollte, sagte: „Es kann nicht nur Zivis geben. Im Notfall muss auch einer dafür gerade stehen, dass ihr alle überhaupt die Freiheit habt, zu verweigern. Im Notfall muss es auch welche geben, die die Freiheit verteidigen können.“ Wir lachten. Welcher Notfall? In Berlin gab es schon lange keine Mauer mehr, sondern nur noch Love Parades, den Feind gab es allein im Computerspiel oder in Tagesschaubildern, und die größte Sorge war, dass zum Jahreswechsel 2000 die Computer nicht merken könnten, dass danach das Jahr 2000 kommt. Es war alles klar: Wir verweigern. Was sonst? Ich glaube, kaum jemand hat sich damals wirklich Gedanken darüber gemacht, ob er „aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe“ verweigern will, wie es so geschraubt heißt: Wir wollten einfach jeden Abend zuhause sein und nicht in irgendeiner Kaserne, wollten das extra Bekleidungsgeld und den kleinen Stolz, wenn man sagt: „Ne, ich doch nicht, hab´ verweigert.“ Und das mit dem Gewissen, ach ja, klar, das schon auch, irgendwie. Vielleicht haben wir uns zu wenig Gedanken gemacht. Es war wie ein Reflex, das Verweigern, und wir haben es schön weiter fortgeführt, in jeder Hinsicht, wenn es um die Armee ging, egal ob Wehrdienst, Auslandseinsatz, was auch immer – jemand sagte Bundeswehr, wir sagten: Bloß nicht! Die Bundeswehr, das war das Leben der Anderen. Vielleicht war das ein Fehler. Denn was ist die Bundeswehr? Ein Wehrpflichtigen-Armee, immer noch, mit einem Konzept, das „Innere Führung“ heißt und besagt, dass jeder Soldat zuallerersteinmal ein „Bürger in Uniform“ sein soll – und die ganze Bundeswehr ein „Spiegel der Gesellschaft“. Darauf ist die Bundeswehr aufgebaut: dass im Prinzip alle hingehen sollen, außer sie lehnen es ab, eine Waffe zu bedienen, weil es gegen ihr Gewissen geht. Dieses Prinzip funktioniert in dem Moment nicht mehr, in dem sich sehr viele junge Männer aus einem Reflex heraus gegen die Bundeswehr entscheiden: Sie verweigern nicht, weil sie es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, sondern weil sie keinen Bock haben. Denn dann gehen nur noch die zur Bundeswehr, die unbedingt wollen, weil sie nichts großartiger finden, oder weil sie unbedingt müssen, weil sie keine andere Perspektive mehr sehen. Ich frage mich: Wollen wir solchen Leuten die Bundeswehr überlassen? Ich nicht. Vielleicht muss man sich mal tatsächlich die Frage stellen: Warum sind wir eigentlich nicht zur Bundeswehr gegangen?

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