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Don't dare to be polite to me!

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Beim Aufräumen fällt mir ein Briefumschlag in die Hände. Er ist zugeklebt und mit Sergiu beschriftet. Es ist über zwei Jahre her, dass ich ihn verschlossen habe. Darin liegt kein Briefbogen, sondern ein Haufen Bargeld.

  Alles begann damit, dass ich für zwei Monate zum Schreiben in der Walachei war. Wie man sich das hier vorstellt, war die Walachei eine abgelegene Landschaft – und in ihrer Einöde wunderschön: weit und leise, ein bisschen staubig, fern von unerfüllten Erwartungen. Ich wohnte in einem Zimmer einer Villa am Ufer der Donau. Nur selten war jemand dort, der Englisch konnte. In der Fremde ist es leicht, fremd zu bleiben, wenn man mit niemandem sprechen kann. Es war eine gesprächsarme Zeit. Bis Sergiu auftauchte.

  Sergiu war Anfang 30, hatte zehn Jahre in Japan verbracht, danach ein paar Jahre in Belgien gearbeitet, nun war er wieder zurück in seinem Heimatland. Ab und zu erledigte er Marktforschungsaufträge für seine alte Firma, mit einigen Tagen Arbeit im Monat kam er über die Runden, den Rest der Zeit widmete er den verschiedensten Dingen – der Musik, den Büchern oder einfach den Menschen um ihn herum. Der Ort sei magisch, meinte er, und er wollte ein Teil davon sein. Er strahlte dem Leben gegenüber eine Gelassenheit aus, die mir imponierte.

  Die Spätsommernächte waren warm, der hauseigene Wein hervorragend, die Gäste an manchen Abenden zahlreich – in der großen Halle kam man am Tisch zum Essen zusammen, es gab Haus-Musik und Gespräche, von denen mir nun auch Bruchstücke von Sergiu übersetzt wurden. Ganz langsam durchdrang auch mich die Gelassenheit, das Gefühl des Fremdseins schwand. Manchmal kam es mir vor, als hätte ich unendlich Zeit für Vieles, zu dem ich jahrelang vor lauter Stress nicht mehr gekommen war – als habe sich die Landschaft auch im Kopf ausgebreitet. Nicht selten waren Sergiu und ich die letzten, die noch da saßen und quatschten. Es ging um alles und nichts, Worte ergaben sich ohne nachzudenken. Bald war mir seine Gesellschaft vertraut, es fühlte sich nach Freundschaft an.

  Irgendwann flog Sergiu für eine Woche nach Belgien. Zum Abschied reichte er mir die Hand. Befremdet schüttelte ich sie und blickte ihm nach. Es dauerte ein paar Stunden, bis ich mir eingestand, dass ich von seiner Distanziertheit verletzt war. Wir hatten uns so viel erzählt, ein Händeschütteln kam mir unangemessen vor. Abends schrieb ich ein Gedicht: 
 
  Don’t dare to be polite to me

  at dinner you look sceptical
  two eyebrows raised,
  you ask: „what is this?“
  „smashed potatoes“ I answer
  and I see the smile that you
  try to hide behind your eyes.
  but it’s not a mistake I made
  because of foreign language
  in fact you’ve shaken my hand like
  a stranger when you left this morning
  so later on I smashed these potatoes
  right against your front door.
 
  Nach einer Woche kam Sergiu zurück. Zuerst traute ich mich nicht, ihm das Gedicht zu geben. Schließlich macht man sich damit verletzlich. Aber dadurch wäre ich ja genauso distanziert – ich fand, es sei an der Zeit, mich auch mal aus dem Fenster zu lehnen. Also gab ich ihm die Zeilen. Er schaute ernst, während er sie las, ein Mal, zwei Mal – dann zwinkerte er mir zu und knuffte mich in die Schulter. Er sei halt ein halber Japaner, sagte er, bevor er besorgt fragte, ob ich die Kartoffeln wirklich an seiner Tür zertrümmert hätte.

  Mein letzter Tag begann vor dem Morgengrauen. Sechs Stunden Fahrt bis zum Flughafen. Sergiu hatte ein Auto in der nächsten Stadt gemietet, die Weinbauern hatten versprochen, uns zur Autovermietung zu fahren. Für meine Begriffe starteten wir viel zu spät, die walachische Gelassenheit lag mir eben doch nicht im Blut. Irgendwann saßen Sergiu und ich endlich in einem Mietwagen ohne funktionierende Handbremse, setzten uns aber trotzdem endlich Richtung Flughafen in Bewegung.

  Als wir dort ankamen, war mein Flugzeug zwar noch da, aber man nahm mich nicht mehr mit. Wir sahen es am Himmel kleiner werden und verschwinden. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Wegen mehrerer Termine musste ich unbedingt an diesem Tag nach Deutschland zurückkehren. Es gab nur einen einzigen Flug. Für 460 Euro. Kann man nichts machen, dachte ich und holte mein Notizbuch heraus, in dem der Rest meines Stipendiengeldes lag. Als Sergiu das sah, schüttelte er den Kopf. Das ginge nicht, sagte er, dass ich das bezahle, auf gar keinen Fall. Eigentlich sei er ja dafür verantwortlich, dass ich den Flieger verpasst habe. Außerdem könne er nicht zulassen, dass ich mein ganzes Geld dafür ausgebe. Ich solle doch noch ein bisschen schreiben können. Er könne einfach einen Zusatzauftrag annehmen, zwei, drei Tage, dann hätte er das wieder drin, sagte er. Ich lehnte ab.

  Er fing noch einmal von vorn an. Ich solle es mal so sehen: Wenn ich den Flug bezahlte, ginge es allen schlecht – ihm und mir. Wenn er dagegen den Flug bezahlte, ginge es nur mir schlecht. Das sei also auf jeden Fall besser. Und bestimmt wäre es gut für sein Karma.

  Unmöglich, sagte ich, nahm das Geld heraus und legte es auf den Tresen.
  „Don’t dare to be polite to me!“, sagte Sergiu plötzlich.
  Es war der einzige Satz, gegen den ich nicht ankam. Ich steckte mein Geld wieder ein. Wir tranken noch einen Kaffee und einen Schnaps. Zum Abschied verbeugte ich mich vor Sergiu, er umarmte mich kurz.
  Als ich ihm später das Geld überweisen wollte, weigerte Sergiu sich, mir seine Kontodaten zu geben. Eine Auslandsüberweisung koste so viele Gebühren. Ich solle einfach irgendwann zu Besuch kommen und eine Geschichte mitbringen, das würde er sich wünschen.

  Sergiu würde bestimmt den Kopf darüber schütteln, wenn er wüsste, dass das Geld jetzt seit über zwei Jahren in einem Umschlag in einer Kiste liegt. Da bleibt es noch ein paar Monate. Diesen Herbst werde ich hinfliegen, drei Jahre später. Was genau dann mit dem Geld passiert, werden wir sehen. In jedem Fall wird die Sonne wieder mit uns unter- und aufgehen, die Zeit wird ein bisschen langsamer verstreichen als auf der restlichen Welt.
  Während ich den Umschlag in der Hand halte, verschwindet für einen Augenblick der ganze Stress, der mich eben noch vereinnahmt hat. Es wird still und weit. Ein schöner Gedanke, dass es manchmal auf Geld tatsächlich überhaupt nicht ankommt.

Text: anne-koehler - Illustrationen: Katharina Bitzl

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