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Mama, Papa, die Rechnung, bitte!

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Diesen Nikolaus ist mir etwas Seltsames passiert, und das hatte mit dem Adventskalender zu tun. Als Kind habe ich immer einen bekommen, gebastelt von meiner Mutter und meinem Vater. Jeder hat eine Hälfte der Päckchen besorgt und eingepackt. In guten Jahren bekam ich jeden Tag eines, in anderen nur jedes dritte Päckchen, versetzt mit meinen Geschwistern. So oder so war es die erste leise Vorahnung auf Weihnachten, eine sich langsam steigernde Vorfreude.

Mit den Jahren hat sich die Wichtigkeit des Adventskalenders für mich verschoben. Es gab eine Fülle davon: selbstgebastelte und schokoladige, Gutschein-, Bild- oder Teekalender, das ganze Programm. Die Familie ist größer geworden, ich gehöre längst nicht mehr zu den jüngsten Mitgliedern, da sind andere nachgerückt. Trotzdem kümmert sich meine Stiefmutter darum, dass ich jedes Jahr einen Adventskalender bekomme.

Auch dieses Jahr. Und die ersten Tage lief alles ganz normal. Bis zum 6. Dezember. An Nikolaus nämlich ist traditionell ein Geldschein im Kalender zu finden. 10 gefaltete Euro. Das ist nicht die Welt, schon klar. Aber es ist explizit für etwas gedacht, das Spaß macht und nicht unbedingt Sinn ergeben muss - für etwas Schönes. Wenn man sich wie ich in recht prekären Verhältnissen bewegt, sind die Momente, in denen man einfach so und ohne schlechtes Gewissen mal Geld auf den Kopf haut, relativ selten. Deshalb freue ich mich jedes Jahr über das kleine Extra, bestelle davon eine Pizza oder nehme nachts ein Taxi oder kaufe ein gutes Steak. Es ist ein ganz bewusstes Geschenk an mich selbst, eine kleine und doch sehr große Freude.

Dieses Jahr: Nichts. Ich habe den Inhalt aus dem Nikolaus-Türchen tausend Mal untersucht. Kein Zehner.

Ich erinnere mich an einen Geburtstag, vielleicht der zwölfte, an dem meine Großmutter mir nichts mehr schenkte, mit der Begründung, aus dem Alter sei ich jetzt raus. Dabei ist man für Geschenke doch nie zu alt. Und für Adventskalender auch nicht. Oder doch? Bin ich jetzt aus dem Nikolaus-Zehner-Alter raus? Oder bedeutet sein Fehlen etwas ganz anderes?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



In den letzten Jahren hat es immer mehr Verschiebungen in unserem Eltern-Kind-Verhältnis gegeben. Wer für wen Sorge tragen muss, ist nicht klar definiert. Was das Geld angeht, bin ich noch das Kind. Meine Eltern würden mich zum Beispiel nie eine gemeinsame Restaurant-Rechnung bezahlen lassen, es sei denn, es war eine Geburtstagseinladung oder so - ein vorher kundgetanes Geschenk.

Sie lassen es sich gerade so gefallen, dass ich sie hin und wieder bekoche. Zu diesen Gelegenheiten versuche ich mich zu revanchieren, durch Sorgfalt und besonderen Koch-Aufwand, mit der ein oder anderen Delikatesse oder ausgesuchten Getränken. Deshalb ist dieser Zehner an Nikolaus eigentlich viel mehr als nur eine Pizza oder Taxifahrt. Und sein Fehlen macht mir ein wenig Angst. Alles dreht sich um. Die Eltern werden älter, die Großeltern sind schon nicht mehr, und beim Anblick von Würfelzucker und Kaffeesahne werde ich wehmütig und denke an Buttercreme und meinen Großvater.

Vielleicht zeigt sich also am Geld und wie wir damit umgehen auch im Kleinen unser Verhältnis zueinander. Heißt der fehlende Zehner also jetzt, dass meine Eltern sich langsam wegschleichen? Großeltern sind sie schon.

Muss ich meinen Eltern jetzt einen Zehner an Nikolaus in den Kalender tun?

Wenn ich es mir recht überlege, habe ich selbst schon Schritte in die Umkehrrichtung unternommen. Letztes Jahr habe ich meinen Eltern einen Adventskalender gebastelt. Mit kleinen Essens-Sachen, die sie sich nur selten gönnen - also eigentlich so ähnlich wie mein Nikolaus-Zehner, nur in Naturalien. Mein Geburtstagsgeschenk war ähnlich, ein kleines Dekadenz-Päckchen mit Champagner, teuren Crackern und Kaviar.

Über all das habe ich seit dem 6. Dezember nachgedacht. Ich habe mich nicht getraut, nach dem Zehner zu fragen. Ob sein Fehlen heißt, dass jetzt alles bergab geht. Oder ob das eher ein Willkommensritual ist in der Erwachsenen-Welt. Wie ein offizielles Zeichen, dass die volle Verantwortung jetzt abgegeben wird. Meine Eltern haben mir wirklich alles mitgegeben, was ich zum Leben brauche. Und ich bin mir sicher, sie fangen mich immer noch auf, wenn ich falle. Vielleicht haben wir da nun eine Gegenseitigkeit erreicht, bewegen uns nebeneinander.

Ich sehe an mir herunter. Meine Füße stehen fest auf dem Boden, in meinen Armen ist Platz. Vielleicht heißt der fehlende Zehner also nur, dass ich ab jetzt gut für mich selbst sorgen kann. Oder auch jemanden auffangen.

Fühlt sich eigentlich ganz gut an.

Ich ziehe meine Jacke an und gehe raus. Zielstrebig. Am nächsten Geldautomaten hebe ich genau zehn Euro ab. Dann setze ich mich in die U-Bahn und mache mich auf den Weg zu meinen Eltern. Mal sehen, was für ein Mitbringsel ich für das Geld finde, an dem wir alle gemeinsam Freude haben.

Text: anne-koehler - Illustration: Katharina Bitzl

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