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„Unsere radikale Nacktheit soll die Leute aufwecken“

Foto: Britta Rybicki

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Heute ist Christopher Street Day, gleichzeitig fand die Cologne Pride Demonstration von und für Lesben, Schwule, Trans-, Intersexuelle und Transgender sowie deren Unterstützer statt. Seit 2003 bildet sie den Rahmen für das zweiwöchige Programm rund um den CSD. In diesem Jahr stand der Cologne Pride unter dem Motto „Coming Out in deinem Style”. Ein häufig gewählter: ziemlich nackt.

Aber was soll diese Nacktheit bringen? Und wieso ist die bunte große Parade weiterhin wichtig? Ist die LGBTQ-Gemeinde nicht inzwischen schon so etabliert und akzeptiert in Deutschland, dass man den CSD nicht mehr braucht? Drei Teilnehmer haben mit uns gesprochen und uns diese Fragen beantwortet. 

„Heute können wir sein, wie wir wollen – ohne ständig angeglotzt zu werden“

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Nicki fällt auf dem CSD als Dragqueen gar nicht so sehr auf – und genau das gefällt ihm daran.

Foto: Britta Rybicki

Nicki, 23, aus Giesen 

„Ich und meine Freunde sind da, weil wir hier einen Freiraum für uns finden. Ich bin schwul, aber in der Regel nicht sichtbar schwul. Was bedeutet, dass ich im Alltag nicht besonders oft angefeindet werde. In meinem engeren Freundes- und Bekanntenkreis wissen alle von meiner sexuellen Orientierung. Dort werde ich nicht ausgegrenzt. 

Seit dem vergangenen Jahr gibt es die Ehe für alle, was ein großer Schritt für die LGBTQ-Community war. Seit ein paar Tagen müssen Transgender sich nicht mehr einem männlichen oder weiblichen Geschlecht in Urkunden oder Personenregister zuordnen. Trotzdem merke ich an den Tagen, an denen ich das Haus nicht als Mann, sondern als Drag Queen verlasse, immer noch, dass dieser Anblick lange nicht zur Gewohnheit für die Gesellschaft geworden ist.

Heute können wir sein, wie wir wollen, ohne dabei ununterbrochen angeglotzt zu werden. Diese Tage brauchen wir, damit es vielleicht eines Tages Normalität, vielleicht ja sogar langweilig wird. Wer weiß. Mittlerweile traue ich mich zwar auch im Alltag geschminkt raus – das hat mich aber viel Überwindung gekostet. Unsere radikale Nacktheit heute soll konservativ eingestellte Menschen aufwecken.

An dem Bahngleis eben hat mir zum Beispiel ein Kind seine Glitzer-Mausohren gezeigt, die meinen ganz ähnliche waren. Vorher hat ihre Mutter eher durch mich durchgeschaut. Alles dagegen unternommen, dass sich unsere Blicke kreuzen. Später hat sie mich aber gemeinsam mit ihrer Tochter freundlich angelächelt. Wenn sich das für mich nicht mehr wie ein besonderer Moment anfühlt, brauche ich den CSD und auch mein provokantes Auftreten nicht mehr – wobei es mir auch sehr gefällt, nicht langweilig auszusehen.“

„Ich bin auch für die Rechte der Frauen auf Freizügigkeit hier“

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Linda mag es eigentlich gar nicht soooo freizügig – aber würde sich generell einfach mehr Rechte für Frauen und Mitglieder der LGBTQ-Gemeinde wünschen. Auch das auf Freizügigkeit.

Foto: Britta Rybicki

Linda Kühl, 26, aus Köln

„Heute bin ich zum ersten Mal auf der Parade beim CSD dabei. Ich bin hier, weil ich möchte, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. Sich frei im Alltag bewegen können, ohne angefeindet zu werden.

Ich bekomme oft mit, dass Betroffene immer noch eine Art Versteckspiel spielen müssen. Nicht Händchen haltend durch die Straßen laufen und oder sich küssen können. Neben direkten Beleidigungen, müssen sie abstoßende Blicke aushalten.Solange wir in so einer Gesellschaft leben, müssen wir an dem CSD gemeinsam für Freiräume für die LGBTQ-Community kämpfen.

Außerdem bin ich heute auch für die Rechte der Frauen auf Freizügigkeit hier. Sind unsere Röcke auch nur ein bisschen zu kurz, unsere Ausschnitte ein bisschen zu tief oder wir werden irgendwie anders von der Gesellschaft als besonders sexy wahrgenommen, laufen wir Gefahr, dass es Menschen als Einladung deuten. Wir leben in einer Gesellschaft, in der sexualisierte Gewalt leider immer noch zu oft toleriert wird. 

So freizügig wie heute zeige ich mich im Alltag deshalb nicht. Obwohl ich auffällige Kostüme sehr mag. Der eher mittellange Rock im Alltag ist eine Art Schutz für mich, mich nicht dem Risiko auszusetzen, blöd angemacht zu werden. Mir geht es heute darum, genau diese Vorstellung etwas aufzubrechen und mich so bewegen zu können wie ich will.”

„Ich kann im Alltag relativ normal leben, weil ich nicht schwul aussehe“  

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Lutz ist heute sehr nackt unterwegs – nicht nur, weil es heute so heiß war.

Foto: Britta Rybicki

Lutz Klöcker, 40, aus Köln

„Wir müssen für die Welt heute wieder sichtbar machen, dass auch wir Teil dieses Lebens und dieser Gesellschaft sind – und dass man mit uns viel Spaß haben kann. Ich kann im Alltag relativ normal leben, da ich nicht schwul aussehe. Ich kenne aber viele Leute, denen es anders geht, die eher feminin und untypisch männlich aussehen. Deswegen ist es wichtig, mit diesen Menschen gemeinsam eine Parade abhalten, um ihnen ein Gefühl von Sicherheit zu geben.

Ich zähle zu den Schwulen, die sich dagegen wehren, sich im Alltag outen zu müssen. Ich habe schließlich auch noch nie erlebt, dass mich ein Arbeitskollege anspricht und mir ganz beiläufig erzählt, dass er hetreosexuell ist. Mit wem ich meine Freizeit verbringe oder ins Bett gehe, geht niemanden etwas an. Deswegen ist mein Schwulsein in meinem Alltag gar nicht so präsent. Trotzdem muss man der Welt offensichtlich immer noch zeigen, dass es nicht nur weiße Heteros gibt. Ich glaube sogar, dass Schwule nur akzeptiert werden, wenn sie Erfolg und Geld haben. Wenn sie zum Beispiel als ein angesehener Designer arbeiten, dann ist es auch ok, dass sie Männer lieben.

Dass ich heute so nackt unterwegs bin, liegt zuallererst mal am Wetter. Es ist so heiß, dass die Pride anders gar nicht auszuhalten wäre. Aber es liegt auch daran, dass ich provozieren will. Ich möchte so zeigen, dass wir nicht direkt böse oder eklig sind – egal, was oder wie wenig wir anhaben. Es geht darum dieses ziemlich absurde Weltbild von den bis oben hin zugeknöpften, altmodischen Geschlechterrollen so stark ins Ironische zuziehen, dass es nur absurd wirken kann.”

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