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Was passiert, wenn man unter Corona-Verdacht steht und sich testen lassen möchte?

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Am vergangenen Samstagabend saß ich noch mit Freunden beim Wein. Wir wollten erst gar nicht über Corona reden. Dann taten wir es doch. Wir beschlossen, uns nicht von der kursierenden Hysterie anstecken zu lassen. Wir machten Witze, lasen uns inhaltsleere Interviews mit symptomfreien Corona-Patienten vor und befanden einhellig, Massenpanik sei gefährlicher als das Virus. Die beste Strategie, fanden wir, sei Ruhe bewahren, vorsichtig bleiben, Händewaschen und ansonsten erst mal weiterleben. Wir verabschiedeten uns überwiegend heiter.

Am Sonntagabend erreichte mich und meinen Mann eine Mail. Sie stammte von dem Schweizer Hotel, in dem wir am Wochenende zuvor auf einer Veranstaltung eingeladen waren und zwei Nächte geschlafen hatten. Darin stand, das Hotel habe am selben Wochenende auch einen Corona-Infizierten beherbergt. Man habe nun fünf Mitarbeiter, die nachweislich in engerem Kontakt mit diesem Gast standen, vorsorglich in Quarantäne geschickt. Und wolle mit dieser Mail alle Gäste, die sich an besagtem Wochenende ebenfalls in dem Hotel aufgehalten hatten, davon in Kenntnis setzen, damit sie sich bei ihren jeweils zuständigen lokalen Behörden darüber informieren könnten, wie mit der Sache umzugehen sei.

Wie ging es uns? Bis auf leichte, geradezu milde winterübliche Erkältungssymptome nicht viel los: Mal kratzt der Hals ein bisschen, mal läuft die Nase, mal schmerzt der Kopf, was man halt zwischen November und März so mit sich herumschleppt, ohne deshalb sofort sämtliche Aktivitäten einzustellen. War irgendetwas seit dem Hotelaufenthalt merklich schlimmer geworden? Die Mail des Hotels verunsicherte uns. Corona kann weitgehend symptomfrei verlaufen, ansteckend kann man trotzdem sein. Wir wollten nicht zu denen gehören, die das Virus aus Ignoranz verbreiten.

Das sei ja doch ein recht konkreter Verdacht, wenn wir schon vom Hotel Bescheid bekämen, sagt die Frau, man müsse uns definitiv testen

Also rufen wir noch am Abend beim ärztlichen Bereitschaftsdienst an, 116117. Dort hören wir uns erst einmal minutenlang eine Tonbandaufnahme mit den bekannten Präventionstipps an. Händewaschen, auf keinen Fall unangemeldet zu Ärzten gehen, in lebensbedrohlichen Fällen 112 anrufen. Wir werden aufgefordert, unsere Postleitzahl einzugeben, um automatisch an eine regionale Beratungsstelle durchgestellt zu werden. Immer wieder heißt es, die Leitung sei überlastet, man solle es später noch mal probieren.

Nach sechs oder sieben gescheiterten Anrufversuchen landen wir immerhin bei der Deutschlandzentrale. Endlich ein echter Mensch am anderen Ende der Leitung. Das sei ja doch ein recht konkreter Verdacht, wenn wir schon vom Hotel Bescheid bekämen, sagt die Frau, man müsse uns definitiv testen. Wir sollten zu Hause bleiben und nicht unter Menschen gehen. Es käme heute Abend noch jemand in Schutzkleidung zu uns nach Hause, um einen Schnelltest durchzuführen. Diese Maßnahme allerdings könne nur die regional zuständige Beratungsstelle veranlassen, bei der müssten wir es noch mal probieren. Wir tun wie geheißen. Erfolglos.

Am nächsten Morgen probieren wir es wieder. Die Leitung ist noch immer überlastet, wir kommen nicht durch. Wir rufen das Gesundheitsamt an. Das Gesundheitsamt sagt: Klingt auf jeden Fall verdächtig, muss abgeklärt werden, bleiben Sie mindestens 14 Tage ab möglichem Erstkontakt zu Hause und lassen Sie sich testen. Mehr weiß Ihr Hausarzt, bitte kontaktieren Sie den.

Wir rufen unsere Hausärzte an, beide sagen sinngemäß: Bleiben Sie bloß weg, wir können nichts für Sie tun, wir sind nicht vorbereitet, wir haben nicht die nötige Schutzkleidung, rufen Sie das Gesundheitsamt an, die wissen, was zu tun ist. Auch ein Bekannter, der bei einem privatärztlichen Notdienst arbeitet, sagt uns: Beim Stichwort Corona müssen wir die Leute abwimmeln. Wir sind nicht vorbereitet.

Ich gebe alles, um an einen Test zu kommen. Ich fühle mich unter Druck

Langsam wird es unangenehm. Die Redaktion, in der ich gerade als Vertretung arbeite und in der ich vorsichtshalber nicht erschienen bin, weiß über meine Situation Bescheid. Sie sind freundlich und verständnisvoll, aber auch beunruhigt und wollen so schnell es geht ein Testergebnis, man brauche Sicherheit. Einige Mitarbeiter lägen seit Ende der Woche fiebrig und krank im Bett – ob ich die vielleicht vergangene Woche angesteckt haben könnte, als ich noch nichts von der Sache wusste? Ich beteuere, dass die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung sehr gering ist, ich aber alles gebe, um an einen Test zu kommen. Ich fühle mich unter Druck.

Wir rufen wieder beim Gesundheitsamt an. Dort schlägt man uns wieder den Hausarzt vor. Ich bitte um eine neue Idee. Die Frau am Apparat legt kurz den Hörer beiseite, um irgendwem „Ich erschieß die Leute bald alle“ zuzumurmeln. Dann kommt der Vorschlag, sich ans Tropeninstitut zu wenden. Oder zu einem Arzt mit einer sogenannten Infektsprechstunde zu gehen und mal zu schauen, was der so sage. Man gibt uns einen Namen. Mehr könne man gerade nicht für einen tun.

Das Tropeninstitut ist nicht zu erreichen. Genau so wenig wie die Infektiologische Station Schwabing. Wir googeln den Arzt mit Infekt-Sprechstunde. Dessen Sprechstundenhilfe sagt am Telefon: Ja, man könne sich heute Abend gern in die Wartenden einreihen. Man bekäme auch Desinfektionsmittel für die Hände und eine Papiermaske und dann käme einer nach dem anderen dran. Ich sage, dass das allem widerspreche, was wir bisher an Anweisungen bekommen haben und auch dem, was man aus dem Munde diverser Virologen in Talkshows und auf Nachrichtenseiten hört und liest, also: nicht unter Leute gehen, erst recht nicht in irgendwelche Wartezimmer hocken und bloß nicht dem Irrtum aufsitzen, Papiermasken und Desinfektionsmittel seien ausreichender Schutz. Wir richten uns nur nach unseren Anweisungen, erwidert sie, kommen Sie vorbei, dann wissen Sie mehr. Wir bekommen einen Termin, wägen nach dem Telefonat aber noch einmal ab und entscheiden: totaler Blödsinn, da heute Abend hinzurennen und sich in eine Reihe panisch Röchelnder zu stellen.  

Im Netz gibt es gefühlt 99 487 987 Corona-Artikel – aber im konkreten Fall weiß keiner, was wirklich zu tun ist

Ich sage meinen Freunden Bescheid, die ich angesteckt haben könnte. Einige von ihnen fühlen sich ebenfalls etwas erkältet, aber irgendwie ja auch schon länger, wie immer halt im Winter. Ob ich mich denn nicht schnell testen lassen könnte? Und was sie denn nun tun sollten? Alle in Quarantäne? Ich habe keine Antworten auf ihre Fragen. Im Netz gibt es gefühlt 99 487 987 Corona-Artikel, das Fernsehen ist voll von Diskussionsrunden zum Thema – aber im konkreten Fall weiß keiner, was wirklich zu tun ist.

Unter 116117 ist nach wie vor niemand zu erreichen, mittlerweile ist es Dienstagnachmittag. Ich lese in einem Nachrichtenticker, dass die Stadt München jetzt ein Beratungstelefon hat. Dort geht eine freundliche Dame ran: Mein Hausarzt sei zuständig. Ich winke ab und berichte von meiner bisherigen Odyssee. Sie ist ratlos. Auf ihrem Zettel stehe nun einmal, der Hausarzt sei zuständig. Oder die 116117. Sie rät ebenfalls dringend davon ab, sich in irgendwelche Infekt-Sprechstunden oder Wartezimmer zu begeben. Sie bespricht sich mit ihrer Kollegin am Telefon nebenan. Und verkündet: Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns sei völlig überlastet, die testeten nur in Ausnahmefällen. Es sei wirklich der Hausarzt zuständig. Ich müsse da noch einmal anrufen.

So oder so müssten wir einfach zu Hause bleiben, bis die 14 Tage seit dem möglichen Erstkontakt verstrichen seien

Mache ich. Die Sprechstundenhilfe sagt: Es tut mir leid, wir können nichts für Sie tun. Rufen Sie in der Virologie der LMU an. Hier ist die Nummer. Ich rufe an, der Mann am Apparat sagt, man könne sich dort leider auch nicht testen lassen und ein Test bringe auch nicht viel, da er sowieso nur anschlage, wenn die Krankheit bereits ausgebrochen sei. Übertragen könne man das Virus aber ja bekanntlich auch, wenn der Test negativ ausfiele. So oder so müssten wir einfach zu Hause bleiben, bis die 14 Tage seit dem möglichen Erstkontakt verstrichen seien. Es sei denn, unsere leichten Symptome verschlimmerten sich in den kommenden Tagen. Und dann, wenn man schon jetzt nicht weiß, wer fürs Testen zuständig ist? Ja, das müsse man dann sehen. Aha.

Am Dienstagmorgen verbringen wir erneut zwei Stunden damit, jemanden bei der 116117 zu erreichen. Schließlich klappt es, ich fliege nicht aus der Leitung und nach 37 Minuten Wartezeit geht jemand von der für unsere Region zuständigen Stelle ran.

Entschiedenes Fazit der Dame am Telefon: Die Schweiz ist offiziell kein Risikogebiet, deshalb wird nicht getestet. Trotz des Coronafalls im Hotel bestehe ihrer Meinung nach kein Risiko der Ansteckung. Auch wenn uns bei der Deutschlandzentrale der Corona-Beratung, vom Gesundheitsamt, vom Hausarzt und vom Virologen der LMU etwas anderes gesagt wurde? Auch wenn das Hotel an diesem Wochenende gut besucht war von Italienern aus Risikogebieten, die erst an diesem Wochenende zu Risikogebieten erklärt wurden? Es gebe daran nichts zu rütteln, es werde keinen Test für uns geben.

Auf meinem Handy treffen immer wieder verunsicherte Nachrichten von Menschen ein, mit denen ich Kontakt hatte in der vergangenen Woche

Unsere milden Erkältungssymptome seien ihrer Meinung nach ein leichter grippaler Infekt, ganz so, wie wir selbst es ja auch vermuteten. Daheim bleiben, bis die 14 Tage nach dem möglichen Erstkontakt verstrichen seien. Mehr gäbe es nicht zu sagen. Das soll ich meinem verunsicherten Arbeitgeber auch bitte genau so ausrichten, über die Konsequenzen solle der dann selbst entscheiden.

Auf meinem Handy treffen immer wieder verunsicherte Nachrichten von Menschen ein, mit denen ich Kontakt hatte in der vergangenen Woche. Ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll. Eine Freundin schickt Links: wie smart man das Problem andernorts angehe, wie effizient und kontrolliert die Bürger beispielsweise in Singapur durchgetestet würden. Was Virologen sagten. Dass 14 Tage häusliche Quarantäne ja nur ausreichten, wenn man keinerlei Symptome bemerkt. Auch das leichteste Halskratzen, wie mein Mann und ich es haben, gelte schon als Symptom und verlängere die notwendige Quarantänezeit. Bei CNN wird darüber berichtet, dass Drive-thru-Schnelltest-Stationen, inspiriert von den Drive-thru-Schaltern von Fastfood-Restaurants, schnell errichtet seien und erheblich zur Eindämmung des Virus beitragen könnten. Doch das einzige Land, das sie seinen Bürgern derzeit zur Verfügung stellt, ist Südkorea.

Ich stehe am Fenster. Ich glaube nicht, dass ich das Virus wirklich habe. Und selbst wenn, müsste ich vermutlich nicht um mein Leben fürchten.  Und zu Hause bleibe ich auch gern. Wer bleibt nicht gern zu Hause? Nur, wie lange denn nun? Und was ist mit meinen Mitmenschen? Nicht jeder, mit dem ich Kontakt habe, ist jung und gesund.

Wie kann in einem Land, das verkündet, gut vorbereitet zu sein, kaum jemand wissen, was zu tun ist? Ärzten fehlt es an Ausrüstung. Beratungsstellen fehlt es nicht nur an Kapazitäten, sondern an Wissen. Falls ich das Virus habe, haben es jetzt längst auch andere. Sind das nicht die Infektionsketten, die es sich im Blick zu behalten lohnt, wenn man einen Virus nachverfolgen möchte?

Doch anstatt so gut und so flächendeckend wie möglich durchzutesten, wird weiter wilde Panik verbreitet, werden Masken und Vorräte gekauft, Veranstaltungen abgesagt. Der Virologe Alexander Kekulé sagte in den Tagesthemen vor einigen Tagen: Mehr Tests seien die einzige Möglichkeit, „quasi ein Netz über Deutschland zu legen und so einen einzelnen Fall oder einen kleinen Ausbruch frühzeitig zu erkennen“. Nur so könne man die „glimmende Zigarette austreten, bevor sie einen Waldbrand verursacht“.  Ich gehe kommenden Montag wieder arbeiten. Bin ich eine glimmende Zigarette?

*Da im Freundeskreis unserer Autorin eh schon alle Panik haben, möchte sie nicht, dass dieser Text unter ihrem Namen erscheint. Er ist der Redaktion aber bekannt. Die beschriebene Redaktion ist nicht die Süddeutsche Zeitung. Die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, wann eine Person sich testen lassen sollte, findest du hier. 

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