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Warum finde ich „Friends“ noch gut?

Foto: Imago/Cinema Publishers Collection

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24 Jahre nachdem die erste und 14 Jahre nachdem die letzte Folge ausgestrahlt wurde, ist Friends wieder überall. Einfachste Erklärung: Seit 2017 kann man alle zehn Staffeln auf Netflix streamen. Und das tun die Leute auch. Vor einigen Tagen nahm der Streamingdienst die Friends-Faszination ob ihres schieren Ausmaßes sogar ein bisschen aufs Korn, indem er preisgab, wie er sich den Auswahlprozess des gemeinen Zuschauers vorstellt: „*scrollt 20 Minuten über die Übersicht* ‘Okay, ich schaue Friends. Zum 723. Mal.‘“

In den sozialen Netzwerken findet man haufenweise Friends-Gifs und Psychotests, die zeigen sollen, welche Hauptfigur am besten zu einem passt. „Friends ist die beste Serie aller Zeiten“ wird viel in den Kommentarspalten behauptet – und ich widerspreche nicht. Ich liebe das Friends-Universum, habe alle Staffeln mehrmals gesehen. Aber mit jeder Folge, die ich mir reinziehe, drängt sich mir eine Frage auf: Warum gefällt mir das? Will ich mir das erlauben?

Darf ich Joey sympathisch finden, obwohl er Frauen weitgehend als Objekte betrachtet und sie dementsprechend behandelt? Darf ich bei Szenen schmunzeln, deren Witz auf Kosten der Figur einer früher dicken Monica gehen? Darf ich Chandlers Versuche, bloß nicht schwul zu wirken, irgendwie auch unterhaltsam finden?

Nachdem ich bei all diesen Fragen in meinem Kopf keine einzige Folge Friends anschauen kann, ohne mein Wertesystem und sein Intaktsein zu hinterfragen, will ich im Internet herausfinden, ob ich alleine bin mit meinen Zweifeln. Bin ich nicht. Ich finde Artikel, die so oder ähnlich heißen: „Millennials schockiert von Friends“ oder „Sexismus, Homophobie, Body-Shaming – Friends“.

Ich liebe die Friends, verurteile sie aber gleichzeitig. Wie passt das zusammen?

Aha, wie immer gibt es eben doch zwei Lager: Die einen lieben, die anderen hassen die Serie. Ich würde mich gerne für eines entscheiden. Das wäre, so denke ich, wenigstens konsequent. In mir finde ich aber beide Seiten: Ich liebe Friends, verurteile sie aber gleichzeitig. Wie passt das zusammen?

Ich beschließe, mit einem Experten über meinen inneren Konflikt zu sprechen und rufe Prof. Dr. Gerd Hallenberger an. Er ist Medienwissenschaftler und beschäftigt sich unter anderem mit Sitcoms. Meine Frage, ob ich ein schlechtes Gewissen haben müsse, wenn ich Friends anschaue, scheint ihn zu erstaunen. Er sagt:

„Sie kennen doch sicher den Begriff Guilty Pleasure. Es geht dabei darum, Dinge zu mögen, von denen man weiß, dass man sie nicht gut finden will oder sollte. Solche Widersprüche sind Teil unser aller Leben. Wir machen ständig Dinge, die wir nicht tun sollten. So komplett puristisch ranzugehen und zu sagen, ich lache jetzt nur noch über politisch korrekte Witze – das geht nicht.“

Ja, den Begriff kenne ich. Aber ich bin nicht von mir gewohnt, dass ich Pleasure, so guilty es auch sein mag, mit Sexismus vereinen kann. Sonst fühle ich mich eher ertappt, weil ich Pferdemädchen auf ihren Instagram-Kanälen beim Werbungmachen zuschaue.

Hallenberger weist mich aber ganz richtig darauf hin, dass die Serie ja nicht ausschließlich mit sexistischen und homophoben Witzen arbeitet. Dass da ja auch tausend andere Dinge passieren. „Das Erfolgsgeheimnis der Serie, das vermutlich auch Sie einfängt, sind ihre inneren Werte: Sie hat eine interessante Lebenswelt, gute Plots – und vor allem klasse Charaktere.“

In dieser Hinsicht könnte Friends für mich sogar noch interessanter werden, sobald Ross sich über Dinge aufregt, über die er sich meiner Meinung nach nicht aufregen sollte – dass sein Sohn mit Puppen spielt zum Beispiel. Denn laut Hallenberger ist gar nicht wichtig, dass man Figuren mag. Man muss sie nur interessant finden. Entweder weil man denkt, sie seien einem selbst ähnlich. Oder weil man sich an ihnen reiben kann. „Sie dürfen einen nur nicht kalt lassen“, sagt Hallenberger. „Und bei einem Ensemble wie dem von Friends wird niemand kalt gelassen.“

Denn die sechs Hauptfiguren haben ganz verschiedene Hintergründe, ticken alle unterschiedlich. „Zusammen vereinen sie im Grunde genommen schon dutzende Lebensentwürfe in a Nutshell. Jeder Zuschauer findet dabei etwas, das er spannend findet.“

„Man kann Friends nicht verurteilen, ohne deren Zeit zu verurteilen“ 

Auch dann noch, wenn die Lebensentwürfe und Charaktere heute vermutlich schon wieder anders aussähen. „Denn jede serielle Produktion kommt aus ihrer Zeit und versucht, sich an den Mainstream der Gesellschaft anzupassen. Sexismus und Homophobie waren in den 90ern noch so sehr Teil des Mainstreams, dass Witze, die mit diesen Motiven gearbeitet haben, eben auch genau so funktioniert haben. Heute ginge das natürlich nicht mehr“, sagt Hallenberger.

Einen anderen Kritikpunkt kann man so aber nicht abwiegeln, denke ich mir: Warum kommen bei Friends kaum Schwarze vor? „Völlig klar“, antwortet Hallenberger. „In diesen Schichten, in dieser Zeit, in diesem Milieu, in dem sich die Protagonisten bewegt haben, waren einfach keine. Wenn ich an das Café Central Perk denke – das ist Teil der urbanen Bohéme-Szene der 90er Jahre. Das war eine überwiegend weiße Szene.“

Deshalb findet Hallenberger auch, dass man das eine tun könne, ohne das andere zu lassen: „Es ist mit Sicherheit wichtig und richtig, beim Schauen feszustellen, dass in Friends entsprechende Klischees auf peinlichste Weise bedient wurden – gleichzeitig muss man auch akzeptieren, dass das damals nun mal so war. Man kann Friends nicht verurteilen, ohne diese Zeit zu verurteilen.”

Dass die Serie in den 90ern produziert wurde, ist auch ein Vorteil

Dabei, so meine ich, ist doch gerade die Zeit, aus der Friends stammt, auch ein Grund für den aktuellen Erfolg der Serie. Die 90er sind in. Wir tragen wieder Momjeans und weiße Sneaker, wünschen uns zurück in eine Zeit, in der Technik noch nicht unseren Alltag bestimmte. Auch Hallenberger glaubt, dass der spezifische Charme der 90er ein Grund dafür ist, dass viele Menschen sich Friends anschauen. „Die einen, weil sie wissen wollen, wie Leben damals funktioniert hat. Die anderen, weil sie Sehnsucht haben nach den Jahren, in denen sie mit Friends erwachsen wurden.“

Ich glaube auch, dass sich die Negativschlagzeilen nun vor allem durch diese Unterscheidung erklären lassen. Die jüngeren Leute, die Friends gerade erst entdeckt haben, sind schockiert, wie die Welt vor zwei Jahrzehnten noch aussah. Die älteren lieben sie, denn sie wurden groß in ihr. Der Nostalgiefaktor lässt toleranter werden. Ich stehe genau zwischen beiden Welten: Ich bin zwar noch mit Handys mit Antenne groß geworden, habe Friends aber trotzdem erst mit Netflix entdeckt. Ich verstehe die Zeit zwar und sehne mich nach einigen Aspekten von ihr. Auf Friends reagiere ich zunächst trotzdem wie auf eine Serie, die erst vergangenes Jahr gedreht worden ist. Hallenberger gibt mir letztlich aber eine Taktik an die Hand, wie ich Friends trotz allem guten Gewissens schauen kann:

„In die Geschichte zurückgeblickt, werden Sie selten Figuren aus älteren Serien finden, die das heutige Werteset teilen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, Sie leben auch nicht gestern. Sie können sich beim Schauen daran freuen, dass sich gewisse Dinge zum Positiven verändert haben!“ Ja, denke ich mir. In den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich echt was getan.

Was man sich außerdem erst mal erlauben muss:

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