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„Was macht mich zum Mann?“

Beim Duschen zu zweit müssen viele nämlich ihre Grenzen überwinden – und das ist gewollt: Die Männer sollen unnatürliche, gedankliche Barrieren wie Angst vor Homosexualität abbauen und lernen, einander nahe zu sein.
Foto: NDR/7Tage

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Geschlechter und ihre Rollen in der Gesellschaft wurden vermutlich nie häufiger diskutiert als heute. Waren Mann und Frau früher die einzig anerkannten Geschlechter und ihre Eigenschaften klar definiert, wird gerade alles neu aufgerollt. Das schafft Freiheit – kann aber auch verunsichern. Denn plötzlich muss man sich wieder selbst fragen: „Wer oder was bin ich eigentlich? Und was macht mich dazu?“

So auch Tobias Zwior. Der 30-Jährige ist Reporter beim NDR und versuchte in seiner Doku „7 Tage unter Männern“ herauszufinden, was ihn eigentlich zu dem Mann macht, der er heute ist. Dafür hat er an einem dreitägigen Männlichkeitstraining teilgenommen, ein Männerwochenende mit seinen Kumpels verbracht und seinen Vater befragt. Was er dabei erlebt und gelernt hat, hat er uns am Telefon erzählt.

jetzt: Tobias, wie hast du Männlichkeit vor deiner Doku definiert?

Tobias Zwior: Die Definition fiel mir zwar immer schwer. Für mich hieß das aber vor allem selbstbewusst und durchsetzungsstark zu sein. Dass man nie aufgibt, sondern immer kämpft für das, was man will. Und dafür vielleicht auch bereit ist, die Ellenbogen auszufahren.

Und das hast du nicht genug gemacht? Oder wie kamst du auf die Frage nach deiner eigenen Männlichkeit?

Die war lange kein Thema für mich. Ich war einfach ein Mann, Ende. Bis zur „Me Too“-Debatte. Seitdem habe ich von so vielen Frauen gehört, wie sehr sie unter Männern schon gelitten haben. Und da hat es in mir angefangen, zu rattern: Mir fielen Situationen ein, vor allem aus dem Nachtleben, in denen ich mich nach meinem heutigen Maßstab nicht korrekt verhalten habe. Also begann ich mich zu fragen: Habe ich eigentlich auch eine Verantwortung als Mann? Was macht mich zum Mann? Was für ein Mann will ich eigentlich sein? Das wollte ich in der Doku herausfinden.

„Dem Trainer zufolge ist es für den Mann eine Erleichterung, wenn er unter Männern ist“

Du bist offenbar nicht allein mit deiner Frage. Das Männlichkeitstraining, an dem du teilgenommen hast, ist ja gut besucht. Welche Männer trifft man da so?

An so einem Training nehmen unterschiedliche Typen teil. Viele von ihnen haben ein Thema mit ihrem Vater und wollen aufarbeiten, dass der nie da oder nie stolz auf sie war. Andere haben wenig Erfolg bei Frauen – und glauben deshalb, unmännlich zu wirken. Es gibt aber auch solche, die einfach die Gemeinschaft unter Männern erleben wollen.

Das Training heißt „Bruder und Krieger“. Ihr kommt euch emotional und körperlich sehr nah, geht aber auch in den Ringkampf. In einer Szene sagt ihr euch gegenseitig: „Ich liebe dich – aber ich würde dich töten, wenn es sein muss.“ Ist das männlich?

So versteht das zumindest der Trainer, glaube ich: Dass Männer zusammenhalten, sich im Notfall aber auch gegen den Anderen verteidigen würden. Diese Übung fand ich irritierend, aber auch interessant: Mal darüber nachzudenken, wie man einem anderen Mann begegnet, wenn er gefährlich für einen selbst oder die eigene Familie wird. Das Schwierige war, dem anderen das ins Gesicht zu sagen.

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Die Teilnehmer des Workshops führen viele intensive Gespräche, auch mit dem Trainer (Mitte), der ihnen seinen Blick auf „Männlichkeit“ näher bringen will. Hier spricht er seinen Jungs Mut für die nächste Übung zu.

Foto: NDR/7Tage
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Beim Duschen zu zweit müssen viele nämlich ihre Grenzen überwinden – und das ist gewollt: Die Männer sollen unnatürliche, gedankliche Barrieren wie Angst vor Homosexualität abbauen und lernen, einander nahe zu sein.

Foto: NDR/7Tage
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Aber in dem Training geht es nicht nur um Nähe, sondern auch um Distanz. Die Männer sollen ihre Grenzen abstecken. Und sagen sich deshalb ins Gesicht: „Ich liebe dich – aber ich würde dich töten, wenn es sein muss.“

Foto: NDR/7Tage
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Das Training heißt deshalb auch „Bruder und Krieger“. Der Krieger lassen die Männer dann schließlich in der letzten Übung raus: dem Ringkampf.

Foto: NDR/7Tage
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Nach dem Ringkampf werden die Gegner allerdings wieder zu Brüdern. Sie nehmen sich in die Arme und halten sich an den Händen. Am Ende, so sagt Tobias, fühlen sich viele deutlich selbstbewusster.

Foto: NDR/7Tage

Das Kämpfen gilt schon lange als männlich. Aber warum solltet ihr euch auch so nahe kommen, miteinander duschen gehen, euch gegenseitig Liebe zusichern?

Dem Trainer zufolge ist es für den Mann eine Erleichterung, wenn er unter Männern ist. Wir haben schließlich alle eine gemeinsame Basis: das Mannsein. Das entspannt. Ich habe das auch so empfunden, als ich mit 16 mal ein Jahr auf einem Jungeninternat war. Da war immer alles total locker. Aber sobald man Mädchen gesehen hat, war die Entspannung halt weg. Ich denke, das hat jeder Mann schon mal erlebt, der auf Frauen steht. Der Trainer wollte deshalb, dass wir uns als Männer so nah wie möglich kommen, um uns zu vertrauen und um unnötige innere Barrieren zu überwinden – deshalb auch das gegenseitige Einseifen beim Duschen.

Hört man irgendwann auf, so ein Seminar komisch zu finden?

Man gewöhnt sich daran. Auch dadurch, dass man am ersten Abend schon gleich krass persönliche Gespräche führt. Da entsteht ein Gemeinschaftssinn, der das schnell normaler macht. Ich habe also versucht, mich ganz darauf einzulassen. Da ich aber nie die Rolle des Reporters losgeworden bin, hat das trotzdem nicht immer zu hundert Prozent geklappt.

„Dann bin ich halt einfach Mensch“

Fühlst du dich jetzt, nach dem Seminar, männlicher?

Ich glaube nicht. Ich war danach einfach unendlich ausgelaugt, körperlich wie emotional. Tatsächlich meinte außerdem ein Teilnehmer, er erkenne in mir eher weiblich konnotierte Eigenschaften wie Empathie. Das hatte ich vorher nie so gesehen. Wie unfassbar männlich ich sei, habe ich aber nicht gehört. Um ein paar Erfahrungen reicher bin ich auf jeden Fall. Ich habe ja auch das erste Mal mit jemandem gekämpft. Ich fand das auch bereichernd, weil ich meinen Körper dabei ganz neu gespürt habe. Viele andere waren nach dem Training sogar richtig euphorisch und fühlten sich zumindest selbstbewusster. Ob sie sich deswegen jetzt auch männlicher fühlen, kann ich aber nicht einschätzen.

Du hast danach auch viel mit Vater und Freunden über Männlichkeit gesprochen. Inwiefern hat sich dein Männlichkeitsbild dadurch geändert?

Mir ist klar geworden, dass Männlichkeit alles bedeuten kann. Da geht es nicht nur um Stereotypen wie Kraft, Ehrgeiz und Durst auf Bier. Männlichkeit kann und muss jeder für sich selbst definieren. Oder es lassen – und sich denken: Dann bin ich halt einfach Mensch.

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Den Rest der sieben Tage verbringt Tobias aber auch mit anderen Männern. Unter anderem: seinen beiden besten Freunden. Mit ihnen spricht er viel darüber, was sich jeder von ihnen unter „Männlichkeit“ vorstellt. Und welche gesellschaftliche Verantwortung sie als Männer wohl haben.

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Mit seinem Vater ergründet Tobias, wie er selbst eigentlich zu dem Mann wurde, der er heute ist – unter anderem beim Bogen-bauen und -schießen im Wald hinter dem Haus.

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Nachdem schon Tobias' Mutter kurz im Film auftaucht, durchbricht Tobias die „7 Tage unter Männern“ noch ein zweites Mal: mit Frauen, die er und seine Kumpels beim Tretbootfahren kennenlernen.

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Am Ende der Doku besucht Tobias noch einen weiteren Freund, der gerade Vater eines Sohnes geworden ist. Sie beantworten gemeinsam die Frage: „Welche Art Vater wollen wir sein?“

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Wie denkst du dann über Männer, die sich männlich fühlen, weil sie bestimmte, alt-tradierte Stereotypen erfüllen?

Ich bin kein großer Fan davon. Aber bei dem Training waren auch Leute dabei, die solche Stereotypen verkörpert haben. Mit denen habe ich mich darüber offen ausgetauscht. Ich will ja die Bandbreite anerkennen, da kann ich ja nicht einfach sagen: So wie die ticken, darf man nicht mehr sein.

Grabenkämpfe zwischen Männern und Frauen braucht es nicht

Vielen Männern machen „Me Too“-Bewegung und Frauenquote Angst. Zurecht?

Ich bekomme mit, dass manche Männer sich davor fürchten, dass ihnen was weggenommen würde. Mir macht das aber keine Angst. Einfach, weil ich noch nie erlebt habe, dass die Emanzipation der Frau irgendwem geschadet hätte. Diese Grabenkämpfe braucht es nicht.

Im Gegensatz zu solchen Männern bietest du mit deinen Erkenntnissen relativ wenig Angriffsfläche. Schließlich überlässt du jedem selbst die Entscheidung, wen oder was sie männlich finden. Hältst du dich da zurück, weil du Angst hast, etwas Falsches zu sagen?

Klar hatte ich davor Angst, denn bei dem Thema kann man ja wirklich viele Leute vor den Kopf stoßen. Eine eindeutige Definition gibt es ja nicht. Ich wollte mir deshalb auch nicht anmaßen zu sagen, „das ist männlich und das nicht.“ Das passt nicht zu meinem Selbstverständnis als Mensch und Reporter. Deshalb habe ich den Weg gewählt, die Geschichte einfach persönlich zu erzählen.

Deine Doku verspricht „7 Tage unter Männern“. Allerdings kommen sowohl deine Mutter als auch zwei Frauen, die ihr zufällig beim Dreh trefft, vor. Warum die Ausnahmen?

Weil Frauen, vor allem meine Mutter, ja auch einen erheblichen Anteil daran hatten, zu welchem Mann ich geworden bin. Die Frauen hatten außerdem guten Input zum Thema: Sie meinten unter anderem, dass nur weil das Frausein zurzeit viel thematisiert wird, das Mannsein ja nicht weniger wichtig ist.

In Sachen geballte Männlichkeit:

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