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Der Golden Pudel - schon immer ein auswegloses Unterfangen

Foto: dpa

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Am frühen Sonntagmorgen standen wir zu zwanzigst im Schneeregen und haben zugesehen, wie die Feuerwehr Stück für Stück das verkohlte Dach des Pudels abgetragen hat. Ich kann gar nicht genau sagen, was ich dabei empfunden habe, es lässt sich schwer in Worte fassen. Ein Gefühl aber gab es sicher nicht, bei keinem von uns: Dass es das jetzt gewesen sein soll.

Ich hatte gerade im Golem aufgelegt, einer Bar direkt um die Ecke, als sich die Nachricht herumsprach, dass zwei Straßen weiter der Pudel in Flammen steht. Mein erster Gedanke war: Scheiße, Samstag, 3 Uhr früh, da ist der Laden gesteckt voll. Der zweite: Kann ich jetzt einfach die Musik abdrehen und rüberrennen? Gott sei Dank war dann relativ schnell klar, dass keine Menschen verletzt wurden. Die Leute vom Pudelkollektiv, die ratlos draußen in der Kälte an der Hafenstraße gestanden waren, kamen dann auch ins Golem und haben mich auf den neuesten Stand gebracht. Wir saßen zusammen und haben geheult. Wir haben aber auch Zukunftspläne geschmiedet. Und später auch wieder gelacht.

Es ist nämlich nicht so, dass wir vor dieser scheinbar ausweglosen Situation kapitulieren wollen. Der Golden Pudel Club war von Beginn an ein auswegloses Unterfangen, hat das Unmögliche angestrebt und es hat trotzdem geklappt. Immer.

Meine erste Pudel-Veranstaltung 2002 zum Beispiel. Ich hatte 19 japanische Elektronik-Acts bei mir zu Hause einquartiert, jeder sollte an einem einzigen langen Abend ein halbstündiges Konzert spielen. Welcher andere Club würde so eine Veranstaltung stemmen können? 

Eine postitive Art von Autorität

Im Pudel funtkionieren die irrsinnigsten Dinge: Wenn ich da an einem Samstag, der traditionell eher auf House und Techno ausgelegt ist, plötzlich türkischen Psychedelic auflege, dann rennen die Leute nicht raus oder beschweren sich bei mir. Die nehmen das an, tanzen anders und sind eher neugierig, als vor den Kopf gestoßen. Der Pudel hat da so eine Art positive Autorität, die die unterschiedlichsten Menschen zu unterschiedlichster Musik auf einen Nenner bringt.

Die Türpolitik im Pudel ist eigentlich nicht vorhanden, wer nicht auf Stress aus ist, kommt auch rein. Ich habe früher auch öfter Barschichten gemacht, an einem Freitag kam da plötzlich eine riesige Gruppe ziemlich fies aussehender Ballonhosenraver an. Die haben als Gruppe schon fast den ganzen Laden gefüllt und dann bei mir an der Bar Sachen bestellt, von denen ich noch nie gehört hatte: "Wodka Ficken", "Pflaumenschnappes", was die halt so trinken anscheinend. Die passen so gar nicht in den Laden, dachte ich. Sie waren dann aber wahnsinnig nett. Und auch wenn sie wohl tatsächlich nicht ganz wussten, was sie bei uns machen, war es ein super Abend und alle haben sich wohl gefühlt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Diese Offenheit, sowohl im Programm, als auch im Publikum, ist ziemlich einzigartig, glaube ich. Mit den "sicheren" Abenden und bekannten Acts können wir die abenteuerlicheren Veranstaltungen querfinanzieren. Deshalb können wir uns so viele Experimente leisten: Es gibt wohl keinen Laden in Hamburg, aus dem die Ideen nur so sprudeln.

 

Viele Gäste verwachsen mit der Zeit mit dem Laden und werden selbst aktiv. Helena Hauff zum Beispiel ist vor ein paar Jahren mit vielleicht 18 fast jeden Abend hier gewesen. Sie kam als erste und ging als letzte, hat mit niemandem gesprochen. Sie saß einfach nur da mit diesem hochkonzentrierten "Lass mich lieber in Ruhe"-Blick und hat sich die Musik angehört. Irgendwann kam mal einer von uns auf die Idee, sie anzusprechen. Dann ist sie Resident-DJ bei uns geworden und bespielt heute gefühlt alle Technoclubs der Welt. Und in der Klammer hinter ihrem Namen steht: Golden Pudel.

Weil der Laden auch international eine Marke ist, kommt jetzt nach dem Brand auch von außen so viel an Energie, Optimismus und Hilfsangeboten, dass es einfach weitergehen muss. Ich will niemandem auf die Füße treten, aber wer jetzt schon das Ende ausruft und feuilletonistische Abgesänge aufschreibt, handelt absolut voreilig. Irgendwie gibt es da eine Lust am Nachruf in Deutschland, man könnte es fast Nekrophilie nennen.

 

Es passieren viele schlimme Dinge auf der Welt, in Hamburg hat nur ein Haus gebrannt. Es sind keine Menschen und Ideen zu Schaden gekommen. So lange das so bleibt, machen wir weiter. Wie? Ganz genau wissen wir es noch nicht. Aber wenn es soweit ist, wird es feierlich herausposaunt. Eins ist nämlich sicher: Was wir gerade empfinden, ist das Gegenteil von Untergangsstimmung.  

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