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Wie Google mein Leben verändert. Heute: Gesund werden

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Zum Arzt gehen ist eine unfassbar altbackene Sache. Man schaut in einem steinzeitlichen Kompendium wie den Gelben Seiten nach, wo der nächste Hals-Nasen-Ohren Arzt praktiziert, ruft dort an, wird von einem hygienisch-strengen Menschen auf einen Termin oder eine Sprechstundenzeit vertröstet, sitzt ebendann mit anderen siechen Vetteln (manche sogar mit Verband!)auf echten Stühlen und füllt mit der Hand Zettel für Krankenkassen aus. Sehr anstrengend und langwierig. Und dabei ist noch nicht einmal die baumhohe Hemmschwelle eingerechnet, die bei mir zwischen Symptom (Herzrasen, entzündetes Auge, Nierenschmerzen etc.) und dem tatsächlichen Anruf bei einem Arzt schwillt. Männer, das sagt jede Krankenkassenstatistik, tendieren nun mal dazu, lieber zu verbluten als Sprechstundenzeiten herauszufinden. Zumal werde ich immer an Samstagabenden krank/verletzt/seltsam, an denen die in Frage kommenden Ärzte ohnehin im Urlaub sind.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nun aber wunderbares Google! „Herzrasen“ und „Schwindelgefühl“ eingegeben und schon wandle ich durch einen paradiesischen Garten von Krankheitsberichten, Versehrten-Foren und Diagnose-Stammtischen, in denen Ähnliches erlitten wurde. Das alles durchzulesen lindert erstmal kolossal den eigenen Schmerz, hat danach aber je nach Stimmung, zwei Nebenwirkungen. Erste Nebenwirkung: Beruhigung Schwindel und Herzrasen, aber auch Nierenschmerzen, seitliches Kopfweh, müde Augen können nun mal auf jeder Sprosse der medizinischen Himmelsleiter stehen. Von „vermutlich Stressbedingt“ (Treffer, die ich ausführlich lese) bis zu „typischen Anzeichen für Kopftumor, unbedingt einen Arzt aufsuchen“ (Treffer, die ich sofort wegklicke), ist alles aufgelistet. Ich suche stets etwas im guten Mittelfeld aus, etwa einen Erfahrungsbericht, in dem zu lesen ist: „Ich litt unter Herzrasen und Schwindel, habe dann aber eine Woche lang jeden Tag vor der Arbeit Entspannungsübungen gemacht und auf Kaffee verzichtet, seitdem bin ich wieder fit“ und vertraue darauf. Am nächsten Morgen bin ich gesund. Zweite Nebenwirkung: Akute Hypochondrie Die Vielzahl der Deutungsmöglichkeiten etwa für die Suchanfrage „Bauchweh links“ führt mich mit jedem Google-Treffer tiefer in ein wahnhaftes Krankheits-Panoptikum. Es endet damit, dass ich mich von meinen besten Freunden verabschiede. Am Telefon erkläre ich ihnen düster, dass ich gestern offenbar sowohl am Prader-Willie-Syndrom, als auch an Morbus Crohn und der seltenen Organ-Gürtelrose erkrankt wäre. Ja, alles deute daraufhin, eine ärztliche Bestätigung sei eigentlich überflüssig, der rote Hocker und ein paar CD’s wären noch zu haben. Die Nacht lang liege ich wach und überdenke mein irdisches Wandeln. Am nächsten Morgen bin ich gesund und zusätzlich aufgeputscht wg. Tod von der Schippe gesprungen. Und irgendwann werde ich mich vor den Computer setzen, "Weisheitszahn ziehen, bitte!" eingeben und den Mund ganz weit aufmachen.

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