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Die Nudelrevolte

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"Das hier ist für die Frauen, die fast mein Leben zerstört haben: Frau E. und die Volvic-Mädchen", schreibt Felix Dachsel in seiner neuen Kolumne "Uni-Loser" auf Spiegel Online. Mit Letzterem meint er die Studentinnen, die "in den Uni-Bibliotheken dieses Landes sitzen", Halstücher tragen, ihr Essen in Tupperdosen mitbringen, schlückchenweise aus Volvic-Flaschen trinken - und wegen denen er nicht mehr in die Mensa oder Bibliothek ging und schließlich zwei Mal sein Studium abgebrochen hat. Er schreibt aber auch: "... vor allem lag es an mir."

Trotzdem brachte Felix die Thematisierung der Volvic-Mädchen einen kleinen Shitstorm ein: Bloggerinnen verfassten Antworten auf die Kolumne, und unter dem Hashtag #Volvicmädchen sammeln sich wütende Tweets. Trending Topic wurde am Freitag aber ein anderer Hashtag, der auch aus dieser Kolumne heraus entstand.  

Angefangen hat die Twitter-Nutzerin @robin_urban, die schrieb:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Daraufhin suchte sie nach einem Hashtag, um Tweets über "#Klassismus und Rumbonzerei im universitären/schulischen Umfeld" zu sammeln. #NudelnMitKetchup sollte es am Ende sein, als Metapher für die Nahrungsmittel, die sich viele – und nicht nur Studenten – zum Monatsende hin noch leisen können.  

Auch wenn der Hashtag über ein paar Ecken zustandekam, konsequent ist er doch: Sowohl die beschriebenen Volvic-Mädchen als auch der Autor selbst kommen allem Anschein nach eher aus privilegierten Verhältnissen. Unter anderem schreibt Felix, dass in seiner Familie alle, seine Brüder, Eltern, Großeltern und Urgroßeltern studiert haben.
Seltener und wichtiger ist aber die Sicht von Menschen, die ohne Privilegien studieren, zur Schule oder Arbeit gehen oder sonst ihr Leben meistern.

Das soll dieser Hashtag ändern. Wie unter #SchauHin und #Aufschrei, bei denen es um Rassismus und Sexismus ging und immer noch geht, werden unter #NudelnMitKetchup Situationen und Szenen gesammelt: vor allem von Studenten, die nicht von ihren Eltern großzügig finanziert werden, ein Stipendium bekommen oder aus anderen Gründen locker ihren Lebensunterhalt bestreiten, sondern am Existenzminimum leben - und dafür diskriminiert werden.
Man liest von verständnislosen Kommilitonen, die nicht begreifen, wenn sich jemand kein Macbook, keinen Fremdsprachkurs in Madrid oder kein Mittagessen im Restaurant leisten kann, von der Diskriminierung, weil man im Wohnheim lebt oder trotz Vollzeitstudium jobbt.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wie die meisten dieser Tweet-Sammlungen wird auch dieser Hashtag nicht die Welt über Nacht verändern und alle Ungerechtigkeiten abschaffen. Trotzdem ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, wie es ist, ohne finanzielle oder familiäre Unterstützung sein Studium oder Leben zu bestreiten.

Das BAföG-System zum Beispiel wird immer wieder kritisiert und gefordert, dass es unabhängig vom Einkommen der Eltern sein muss – in den Tweets aber sind persönliche, konkrete Beispiele zu lesen, die beweisen, dass sich daran etwas ändern muss. Statt Statistiken, die besagen, dass das deutsche Bildungssystem ungerecht ist und die meisten Studenten immer noch aus Akademikerfamilien kommen, die es sich finanziell leisten können, ihre Kinder studieren zu lassen, lernt man hier Menschen kennen, die erzählen, wie es sich anfühlt, die Ausnahme zu sein, und das schon auf dem Gymnasium. Oft unter dem Hashtag verlinkt wird der Text der Bloggerin "Faserpiratin": In "Wenn du dann studieren gehst" beschreibt sie ausführlich, wie es war, als Kind eines arbeitslosen Vaters und einer Mutter, die putzen geht, am Gymnasium zu sein, und wie sie gemobbt wurde, weil ihre Familie kein Auto hatte, nie in den Urlaub fuhr, sie nie ihren Geburtstag im Kino feiern durfte und kein Taschengeld bekam. Genau deswegen ist #NudelnMitKetchup wichtig.
Es gibt aber auch Kritik an dem Hashtag.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

 
Die Tweet-Sammlung soll auf Klassismus aufmerksam machen und beschränkte sich zunächst auf Beispiele aus dem Uni- oder Schulalltag, was Azubis, Praktikanten, Menschen ohne oder mit einem schlechtbezahlten Job ausgrenzt, die in ihrem Alltag das gleiche erleben. @robin_urban, die den Hashtag startete, schrieb inzwischen, dass sich jeder, der in irgendeiner Art und Weise Diskriminierung wegen seiner sozialen Verhältnisse erlebt hat, äußern soll.  

Trotz des ernsten Themas ist unter #NudelnMitKetchup auch Platz für Twitter-Humor, das verlangt wohl schon der Name, und zwar mit Anspielungen auf den zweiten Nudel-Hashtag der Woche: #Barilla(Boycott).
  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

 
Seit der Chef des italienischen Nudel-Konzerns, Guido Barilla, in einem Interview sagte, er werde "nie Werbung mit Homosexuellen schalten" und seine Firma die "klassische Familie" unterstütze, "in der die Frau eine fundamentale Rolle hat", wird unter anderem auf Twitter und mit Fotos von Barilla-Schachteln im Mülleimer dazu aufgerufen, keine Produkte der Firma mehr zu kaufen.  

Und ein bisschen Food-Fotografie gibt’s auch noch, wenn auch mehr in der Sad-Desk-Variante, dafür mit Macbook: 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert




Text: kathrin-hollmer - Cover-Foto: una.knipsolina / photocase.com; Screenshots: Twitter

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