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"16 000 Euro sind viel Geld, Herr Jauch!"
Das Fernsehen ist nicht, wie gelegentlich angenommen, eine Flimmerkiste. Es ist stattdessen eine einzige Hauptsatz-Hupe. Wir sehen darin Filme und plappern die wildesten Filmzitate nach. Wir sehen Werbespots, deren Slogans sich wie kleine Saugrüssel-Fische an unser Sprachzentrum napfen. Und wir entdecken im Fernsehen Menschen, die so aussehen, wie wir selber bald aussehen werden. Sie sprechen auch so ähnlich wie wir, haben sonst aber natürlich nix auf dem Kasten. Bis wir deren Sätze übernehmen, dauert es zwar eine Weile, aber bei einem Methusalem-Format wie "Wer wird Millionär" ist es jetzt doch endlich soweit gekommen: Nahezu jeder Kandidat sagt das Gleiche. Die Rolle desjenigen, der der dort auf den Quizstuhl klettern darf, ist also mit der Zeit eine Volksrolle geworden - so ähnlich wie der versteckte Liebhaber im Schrank eine ist.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Nahezu jeder Bundesbürger weiß heute darüber Bescheid, wie er sich auf dem Stuhl bei Günther Jauch zu benehmen hat, was erwartet wird und an welchem Vokabular-Büffet er sich dabei bedienen muss. So reden dort zum Beispiel mittlerweile alle von dem Versprechen "nicht zu zocken", das sie irgendwem gegeben haben. Sie verkünden ebenso routiniert an anderer Stelle, dass Günther Jauch sie gerade doch "wieder verunsichert" hätte oder dass sie nun "nicht zu viel spekulieren" wollen, um das Publikum beim Jokern nicht zu beeinflussen.
Klar, auch der Spielablauf wiederholt sich immer wieder. Aber man lädt doch genau deswegen frische Kandidaten dazu ein, mit der Hoffnung, es möge dadurch für Abwechslung gesorgt sein. Leider ist die Frischware aber bestrebt, sich zumindest verbal möglichst einheitlich zu verhalten. Diese ganzen immer gleichen Wendungen haben die Menschlein nicht in ihrer Bibelstunde mit auf den Weg bekommen. Nein, diese Jauch-Liturgie haben sie als Fernsehzuschauer Zuhause gelernt und sich, ohne es darauf anzulegen, auswendig gemerkt - statt sich mal lieber den Namen des zweiten Ehemanns von Ingrid Bergman zu merken.
Aber auch für jene dunkle Sendeminute, in der das flackernde Wissens-Flämmchen der armen Kandidatenseele erlischt, stehen abgegriffene Sätze bereit - allen voran der heutige Hauptsatz. Seine Aufgabe ist es, den unehrenhaften Abgang einzuleiten. Offenbar muss man sich nämlich für die Inanspruchnahme eines Gewinnbetrages zwischen 4000 und 64 000 Euro öffentlich rechtfertigen. Bei niedrigeren Summen würde der Satz etwas arg ärmlich wirken, bei höheren leicht versnobt. Nichts anderes also, als eine eilige Entschuldigung ist der Hauptsatz, ein Versuch, das zu begründen, was andere vielleicht feige finden. Vordergründig geht die Entschuldigung an Günther Jauch, aber sie geht auch an all die Freunde in der Heimat und an die gesichtslose Meute auf den Sofas daheim, die den Kandidaten so gern weiter ins Verderben schicken würde. Ich, als Teil dieser Sofameute, fände es eine schöne Entschädigung, wenn jedes Mal an dieser unrühmlichen Stelle Hans Moser aus dem Grab steigen würde, um mit bestem Wiener Kopwackeln zu nuscheln: "Wissen's Herr Jauch, für mi, für mi is dös föh Göid!"
Denn das Rührende an diesem Satz ist doch die waisenkindartige Zerknautschtheit, die so zwingend zur Betonung dazu gehört, wie das treudoofe "Herr Jauch" am Ende. Klar, da dieser wahnsinnig reich ist, kann er vermutlich nicht begreifen, dass für jemand anderen 16 000 Euro viel Geld ist. Deswegen sagt man es lieber noch mal und schlägt verschämt die Augen nieder. Schade, dass Günther Jauch das bisher noch nie mit einem lässigen "Also für mich ist das eher ein Pappenstiel" gekontert hat. Da würde die Nation ganz kurz kreidebleich werden, vor Scham und Neid und Achduje. Aber vielleicht würde sie dann auch mal was anderes sagen, wenn es soweit ist.
Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl