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„Als Kind war ich ja total blond.“
Oft gibt es diesen Satz auch in einer Abwandlung mit Locken zu hören. Blonde Locken sind der Superlativ der Kindheitserinnerungen. Menschen, die als Kind braunes oder kariertes Haar hatten dürfen damit nie angeben. Nur blondes Kindshaar gilt was. Natürlich funktioniert der Satz nur als Kontrast zur aktuellen Haarfarbe des Erzählers, die heute üblicherweise leberwurstfarben oder schilfbeige ist. Mit dem Hauptsatz bekräftigt die einst blonde Person also nur, dass es seit der Kindheit bergab ging. Trotzdem wird mit einem anhaltenden Stolz davon erzählt – auch auf die Gefahr hin, dass es wie eine Entschuldigung für den maroden Ist-Zustand wirkt. Von den blonden Kindheitslocken hat man als Zuhörer jedenfalls nichts, nur empfindsame Mädchen flöten: „Ach süß, kann ich mir nicht vorstellen, Bernd mit blonden Locken!“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ich hieß als Kind zwar nicht Bernd, hatte aber natürlich auch blonde Haare. Allerdings hatten die Existenz und Beschaffenheit der eigenen Haare zu dieser Zeit einen eher geringen Stellenwert. Sie waren mir lästig, weil die anderen Kinder daran ziehen konnten. Oder weil ich in einen Busch mit Kletten gefallen war, und es später wehtat, wenn Mama die Kletten rausoperierte. Danach wollte sie auch gleich „nette Frisur“ machen und ich musste wegrennen und mich unterm Schreibtisch verstecken, weil Frisurmachen scheiße war und ziepte.
Der Moment, in dem ich zum ersten Mal über meine Haarfarbe nachdachte war gekommen, als ich ein Poesiealbum auszufüllen hatte. Und zwar eines, in dem Rubriken vorgegeben waren, von denen ich nicht mal wusste, dass sie zu meinem Leben gehören. Vom eigenen Lieblingslied und Lieblingshobby (doch immer: Spielen?) hat man mit neun Jahren nur eine vage Vorstellung. Eine Haarfarbe hatte ich immerhin. Nur war unklar, welche. Schließlich bediente sich die Gesellschaft dabei nicht des Farbschemas meines Wasserfarbkastens – dunkelgelbe oder ockerfarbene Haare gab es nicht. Stattdessen schrieben die Mitschüler seltsame Adjektive wie aschblond und brünett in die betreffende Spalte. Aschblond klang wahnsinnig lustig, deswegen übernahm ich das für mich und erzählte es auch fortan weiter.
Das ging gut, bis zu jenem Alter, in dem traditionell eigene Körperteile unter die Lupe genommen und für mangelhaft befunden wurden. Da merkte ich, dass meine Haarfarbe sich zu einem durchschnittlichen Dunkelirgendwas entwickelt hatte. Zum Glück ging das in dem Alter fast allen so. Die Mädchen fingen also an, sich die Haare zu färben, die Jungen gründeten eine Band. Und weil weder das eine noch das andere langfristig gehalten hat, sagen heute alle, sie wären früher immerhin blond gewesen.
Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl