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"Also, ich fang' dann schon mal an"

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Siehst du es bei dem Satz nicht schon vor dir, dieses Hinterzimmer eines Landhotels, in dem der Chef selbst kocht, Busse willkommen sind und die Gutsherrenpfanne 14,50 Euro kostet? Die Gasträume des Restaurants tragen wenig zweckdienliche Namen, du befindest dich Hubertus-Saal. Zum Klo geht's in den gefliesten Keller. Mit dir am Tisch sitzen schwangere Cousinen und beige Großtanten, Campingplatznachbarn der Großeltern und dieses immer gleiche mittelalte Paar, bei dem sie chronisch gestresst wegen ihrer Mutter oder ihrer Allergie ist und er wahlweise Italiener, Angolaner oder Polynesier und somit von konträr-vibrierender Fröhlichkeit.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

An diesem Tisch sitzt du, weil es an diesem verregneten Sonntag angeblich etwas zu feiern gibt. Und feiern, das geht in Deutschland vor allem in Hinterzimmern von Landhotels und mit einem vorher festgelegten Menü, das gefälligst gemeinschaftlich genossen wird. Es beginnt in der ersten Jahreshälfte mit Spargelcreme-, in der zweiten mit Waldpilzcremesuppe. Suppen werden auf dunkelbraunen Tabletts im Dutzend aufgetragen und ohne großes Kommando geschlürft. Aber der Hauptgang! Da möchten nicht alle das Schweinemedaillon, da möchten manche auch die Forelle und andere sogar die Käsespatzen mit kleinem Salat. Als vom Schicksal gerne Auserwählter sitzt du als Erster vor deinem überbackenem Schweinemedallion und tust, als hättest du den Teller nicht gesehen. Denn nirgends wird krampfhafter an der Etikette festgehalten als bei Taufessen und auf Goldenen Hochzeiten. "Ich warte natürlich bis ihr auch was habt!" sagst du und sortierst manisch Gabel und Messer neben dem Teller. Die anderen starren derweil obszön und lüstern auf dein armes Tellergericht. Beim Starren spricht die Mischpoke gierig an dich hin: "Du kannst fei ruhig schon mal anfangen." Du nickst verschämt, winkst gleichzeitig ab. "Ach was, ich warte doch noch auf euch." Du warst nie unlockerer. Dann muss die Tischälteste mit strengem Ton "Du isst jetzt, wird doch kalt, wer weiß, ob wir überhaupt noch was kriegen!" sagen und dann sagst du endlich den Hauptsatz. Unter öffentlicher Anteilnahme kaust du auf dem ersten Stück Beilagenkarotte herum und ein käsiger Onkel erkundigt sich sofort, ob und wie gut es wäre. Denn es sähe jedenfalls "sehr gut" aus. Erst wenn die Saisonkraft endlich eine Forelle Müllerin und zwei neue Apfelschorle heranträgt, wendet sich die Tischaufmerksamkeit anderem zu und du kannst wirklich anfangen. Zu essen. Und zu feiern.

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