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„Boah, voll der Frischluftschock“

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  Ein Frischluftschock ist etwas, das man erleidet, wenn man nach acht Stunden in einer Kneipe vor die Tür tritt und sich sogleich und wider Erwarten in knallharter Echtluft befindet. Manche sagen auch Sauerstoffschock dazu. Die Höhe des Nachthimmels und die vollkommene Nüchternheit des Draußens, verursachen einen kleinen Schwindel. Man muss dann schnell nach unten schauen um wieder etwas Vertrautes zu sehen: die eigenen alten Füße und den Boden, der mal wieder so zuverlässig in der Nähe ist wie sonst niemand.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es ist weniger eine medizinische Reaktion, die diesen Schwindel auslöst - schließlich sind wir dafür gebaut, Frischluft zu verarbeiten – als eine moralische. Die Nachtkühle rückt die Dinge wieder gerade, stellt uns vom Kopf zurück auf die Füße und verpasst uns einen Kinnhaken – kein Wunder, dass einem bei dieser Behandlung schwindelt. Da, denkt man, war hier draußen die ganze Zeit Klarheit und Sauerstoff, während ich mich drinnen in einen Zustand völliger Behumpsung begeben habe und zwar vorsätzlich und in Tateinheit mit dummem Gerede. Und um den schmerzhaften Augenblick dieser Erkenntnis nicht zu lange dauern zu lassen, macht man mit dem dummen Gerede einfach weiter und erfindet den Frischluftschock. Eine praktische Sache, die so tut, als wäre Frischluft etwas Widernatürliches, das uns an angreift und an dessen Gebrauch man sich erstmal gewöhnen muss. Besonders engagierte Kneipengänger dürften auch bald den Befund einer Frischluftintoleranz für sich entdecken. Sie werden dann vor der Tür sagen: „Ah Mist, ist da etwa Frischluft bei? Du ehrlich, ich vertrage es einfach nicht.“, sich dabei so vielsagend an den Bauch greifen, wie die Menschen in der Darmmedikamente-Werbung und wieder an die Theke zurückkehren. Im Grunde sollte man diese Taktik ruhig noch ausweiten, auf andere grundgute aber bisweilen moralisch lästige Vorkommnisse. Wie wäre es zum Beispiel mit einer „Ehrlichen-Arbeit“-Intoleranz? Oder einem Sportschock, der einen leider nach den ersten Langlauf-Metern zum Aufhören zwingt? Einer Gute-Laune-Unverträglichkeit möchte ich sofort anheim fallen. Sie würde mich dazu befähigen, in all die Strahlgesichter um mich herum zu sagen: „Boah, voll der Grinseschock!“, bevor ich ohnmächtig mit dem Kopf in ihre Bio-Kürbissuppe falle.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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