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„Das kann ich von der Steuer absetzen“

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Früher dachte ich, selbstständig, das wäre für sich schon ein Beruf. Beruhigend ist, dass in großen Städten immer noch ziemlich viele Menschen so denken. Die meisten davon sind mit mir entfernt bekannt und etwa so alt wie ich. Also gerade noch jung genug, um selbst eine 58-Stunden Woche oder einen klingelnden Gerichtsvollzieher spielerisch zu nehmen. Und irgendwie denkt man in den schwachen Momenten dieser Lebensphase auch, man könnte zur Not noch mal in sein Kinderzimmer zurück ziehen. Wenn es mal ernst wird. Denn die meiste Zeit ist das Leben in meinen Kreisen erschreckend unernst. Hauptsächlich schicken wir uns Bilder mit Witzunterschriften, so sieht’s doch aus. Zur unbedrohlichen Wahrnehmung des Lebens trägt der Hauptsatz von der Steuer wesentlich bei. Die lieben selbstständigen Kollegen sagen ihn nachts im Taxi und mittags beim Schaufensterbummel und zücken sorglos die Kreditkarte. Selbst nach den Eintrittskarten, mit denen man in das Zelt der Dame ohne Unterleib und des dirigierenden Schimpansens kommt, schnappen sie in einer Art, dass ich Angst um meine Finger kriege.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mit der Quittung in den Händen kommt ihnen dann der Hauptsatz nach Gutsherrenart aus der Backe. Stolz sind sie, haben eine fette Steuerersparnis erlegt, und sind kurz davor, sich mit ihr fotografieren zu lassen. Der Satz jedenfalls entschuldigt alles – das Herumkriechen unter fremden Cafétischen genau so, wie Prügeleien mit Kellnerinnen. Ich bin chronisch neidisch, weil diese Menschen offenbar Zugang zu anderen Steuergerechtigkeiten haben als ich. Ich kann gar nichts absetzen und habe vor meinem Steuerberater mehr Angst als vor dem Finanzamt. Er empfängt mich einmal im Jahr in seinem Zimmer genau in der Mitte zwischen zwei Aktenordnerwänden, die so groß und voll sind, dass die Firma Leitz sie als Steinbruch nutzen könnte. Da sitzt er, genau mittig, der Herr Becker und guckt mich ganz mittig an. Ich trage einen kümmerlichen Ordner mit mir, der meine Steuer sein soll. Jedenfalls habe ich das auf den Ordnerrücken geschrieben, in Achtklässerschrift. Was dann folgt, ist ein Gespräch, in dem ich die von mir gesammelten Quittungen erklären muss. Becker fragt: „Was haben Sie hier am 8. August bei dem dirigierenden Schimpansen gemacht?“ Ich: „Gelacht, äh, ich meine, das war so eine Art Betriebsausflug, Sie verstehen.“ Ich mache zwinkerzwinker. Aber Becker hat gar nichts, mit dem er zurückzwinkern könnte. Er sieht mich an, dann sagt er: „Kommt nicht durch“ und wirft die Eintrittskarte, die ich jahrelang aufbewahrt hatte, einfach weg. So geht es mit den meisten meiner Quittungen. Kaum eine findet vor Herrn Becker Gnade, bei einigen sagt er: „Können wir versuchen, aber ich sag Ihnen gleich . . .“ Das Ganze ist so zermürbend, dass es mir hinterher jedes Mal vorkommt, als wäre das jetzt schon die Steuererklärung gewesen. Jedenfalls entspricht es dem Begriff wesentlich mehr, als der gesichtslose Briefverkehr mit dem Finanzamt. Das Einzige, was Herr Becker immer von meiner Steuer absetzen kann, ist er selber. Das freut uns beide sehr. Mich, weil ich mir immer kindisch vorstellen muss, wie sich Herr Becker selber subtrahiert, hihihi. Ihn, weil er nächstes Jahr noch mehr auf seine Rechnung schreiben wird und dazu murmelt: Das kann der ja absetzen.

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