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"Das schmeckt so ein bisschen wie Hühnchen"

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Wer je einmal aus dem Blechnapf etwas Exotisches fraß, muss sein ganzes Leben den anderen davon berichten. Wer also Ratte, Hund und Igel probiert hat, wer seine Zähne in Froschschenkel und Singvögelchen rammte oder wer gar am Alligator nagte, der sucht fortan nach Vergleichen, um den restlichen Feiglingen diese Genüsse zu beschreiben. Alle diese Sachen schmecken dann in der Nacherzählung immer wie Hühnchen, ein bisschen. Davon abgesehen, dass das gar nicht sein kann, weil Gott allen Lebewesen ein eigenes Gschmäckle verliehen hat, ist dieser ewige Hühnchen-Vergleich auch unklug. Er schmälert schließlich den Mut des wilden Spachtelheinis. Wenn was wie Hühnchen schmeckt, war’s ja nicht so schlimm. Und alle Zuhörer denken natürlich insgeheim, dass sie diese Sauereien dann gar nicht selber testen müssen, sondern schön beim Original-Hühnchen bleiben können. Denn damit verpassen sie offenbar nix und zur Not könnten sie sich beim nächsten Biss ins Hühnerbrot vorstellen, es wäre ein Hamsterbrot und fertig ist der Nervenkitzel. Schöner wäre es, wenn die Exoten-Esser von diesem ganz eigenen Igelflavour schwärmen würden, von der sensationellen Straßenköter-Würze und dem seltsam sauren Kakadukompott. Da würden die anderen ehrfürchtig nicken und vielleicht sogar so neugierig werden, dass sie selber mal einen Kakadu mitnehmen, zum Zwecke der Kompottgewinnung.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kulinarische Feingeister mögen außerdem anmerken, dass Hühnchenfleisch nach nicht viel schmeckt, dass es das neutralste, weiße Zeug überhaupt ist. Gerade deswegen ist es auch bei heikelsten Essern beliebt, als geschmacklose Fleischportion zu Ketchup oder Soße, nicht mal farblich einschüchternd. Es ist also nur folgerichtig, anzunehmen, dass alles, was irgendwie wie Hühnchen schmecken soll, auch ziemlich fades Zeug ist. Oder dass der Erzähler sich gar nicht mehr erinnern kann, wie nun der Beagleburger in Vietnam geschmeckt hat. Dieses Nichterinnern setzt der Kopf geschmacklich in Hühnchenfleisch um. Vielleicht hat der Weltreisende es ja auch ganz schlau angestellt und keine einzige der prekären Spezialitäten selber verkostet. Er weiß: Daheim kann man einfach sagen, Leguan und Seegurke würde, tja, so ein bisschen wie Hühnchen schmecken und alle würden es glauben. Schließlich schmecken ja auch schon Hase, Hund und Igel wie Hühnchen – warum also nicht auch noch ein paar andere?

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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