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"Den Film habe ich im Flugzeug gesehen"

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In meiner Wahrnehmung hat dieser Satz in den letzten 15 Jahren ein wenig Glanz eingebüßt. Vielleicht ist das aber auch nur, weil mich als Knabe noch die Vorstellung, dass Bildschirme an anderen Orten als in Wohnzimmern installiert sein könnten, luxusmäßig total abgehen ließ. Bildschirme im Auto, in Hotelbadezimmern und eben Flugzeugen reichten mir damals vollkommen als Beweis dafür, dass Erwachsene die Krone der Schöpfung waren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Heute aber, wo jeder seine Filme in der Hosentasche rumträgt (bald wird es nicht mal mehr Hosen geben!) und sogar Angelrollen Displays haben, ist das Filmgucken im Flugzeug nichts Besonderes mehr. Umso erstaunlicher, dass immer noch jeder gerne diesen Hauptsatz benutzt. Man sagt ja nie: ,Diesen Film habe ich bei meiner Tante gesehen, den kenne ich vom Fernsehen und den hier aus dem Flugzeug.‘ Nein, alle anderen Filme kennt man einfach so - nur die aus dem Flugzeug verdienen ein Herkunftssiegel. Warum? Zum einen ist es ein Statusreflex-Sätzchen, in etwa derselben armseligen Güteklasse wie: Ich war gestern bei meiner Bank und bei meinem Bäcker. Zum anderen sagt man, das vermute ich, den Satz quasi als Entschuldigung, weil das Filmgucken im Flieger ein ganz anderes ist, als im Kino. Sobald ich jedenfalls mit einem Bord-Entertainment-Programm konfrontiert werde, fällt mir die Maske des zurückhaltenden Bonvivants vom Gesicht, die ich am Boden so vorteilhaft zu tragen verstehe. Noch vor dem Start habe ich mir ein Menü mit 24 Filmen zusammengestellt und bin fest entschlossen, diese hintereinander auf dem 10 Zoll-Bildschirm anzusehen, auch wenn ich dafür im Hangar übernachten müsste. Was für eine Chance! Endlich all die cineastischen Lücken ausbügeln zu können, die das Leben so hinterlassen hat. Endlich die amerikanischen Blockbuster zischen, in die man wegen des guten Geschmacks daheim keinen Fuß gesetzt hätte. Kann die verdammte Welt nicht größer sein oder das Flugzeug langsamer fliegen? Wenn der Platz neben mir unbesetzt ist, versuche ich ein Double-Feature: Zwei Filme gleichzeitig, im besten Fall Original und Fortsetzung. Ich verliere in dieser Situation zuverlässig die Achtung vor der Arbeit der Spielfilmregisseure, weil ich die Früchte ihrer jahrelangen Arbeit runterschlinge, wie ich die ersten 22 Gummibärchen einer Gummibärchentüte runterschlinge - ohne auf den Geschmack und die Farbe zu achten. Deswegen ist das Filmerlebnis im Flugzeug auch einigermaßen verhuscht. Die Drehbücher gehen nahtlos ineinander über, die gefühligen Happy Ends sind nur zeitraubende Durststrecken zwischen den jeweiligen Höhepunkten: Roboterkämpfe, Verfolgungsjagden, hupende Hubschrauber - mein Kopf fühlt sich an wie ein Wertstoffhof in Hollywood. Wenn der Sinkflug einsetzt ist mir jedesmal, als hätte ich in einem Restaurant alle Hauptspeisen hintereinander gegessen. Plus Beilagen. Aber das wollte ich auch schon immer mal machen.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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