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„Du, ehrlich, in der Stadt brauche ich einfach kein Auto."

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Es ist sehr wichtig, diesen Satz als höchste Erkenntnis zu verkaufen – bei gleichzeitig nonchalantem Tonfall. Denn er gehört zu der unsympathischen Gattung von Schutzbehauptungen, die andere weitgehend widerspruchslos schlucken müssen. Gleiche Kategorie: „Ich habe einfach eines Tages mit dem Rauchen aufgehört und seitdem fehlt es mir nicht“ und „Ich kann so viel essen wie ich will, ich nehme einfach nicht zu“. Kleine, feine Angebereien, mit denen man mindestens die Hälfte aller Anwesenden zu willensschwachen Doof-Enten erklärt – ohne dass einem diese Gemeinheit nachgewiesen werden kann. Denn offiziell ist man ja nur eine ehrliche Haut, die aus dem eigenen Leben plaudert. Natürlich mag es sein, dass diese Sachverhalte jeweils zutreffen – eine Hilfe für den Rest der Menschheit sind sie indes nicht. Es ist beinahe so, als würde man einem Rollstuhlfahrer sagen: „Du, ich habe mir überlegt, so langsam wie du fährst, da kannst du ja eigentlich gleich laufen.“



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Was nun den plakativen Verzicht auf ein Auto in der Stadt angeht, so gründet sich diese hochtrabende Lebenseinstellung auf nichts anderes als Kenntnisse von Busfahrplänen und der flüssigen Fortbewegung mit dem Fahrrad ohne Stützräder – also den Wissensstand eines Zehnjährigen. Es ist darüber hinaus vollkommen unnötig, anderen Stadtbewohnern von der Erfindung des Öffentlichen Nahverkehrs zu künden. Noch schlimmer: so zu tun, als wäre den anderen bislang nur der Sinn von Straßenbahn und Bus verborgen geblieben. 

  Dabei handelt es sich ja nicht um ideelle und schwer zugängliche Dinge wie etwa das Spätwerk von Lenny Kravitz, auf die man noch mal hinweisen möchte, weil die anderen sie vielleicht übersehen haben, nein, die Bus-Basics dürfen doch flächendeckend vorausgesetzt werden. Aber die Hauptsatzbenutzer verklären stattdessen das Nichtbesitzen, ihre langweilige Nicht-Nachricht bis in die Nähe eines aktiven Widerstands und Denkfortschritts, zu dem die Autobesitzer auch irgendwann mal gelangen werden. Es wäre so überaus erfrischend, wenn man auf derlei blasierte Ausführungen einmal bass erstaunt reagieren würde: „Echt? Diese komischen blauen Riesenautos und die bimmelnden kleinen Eisenbahnen nehmen gegen ein geringes Entgelt auch Passagiere mit? Das musst du mir mal genauer erzählen!“ Macht natürlich keiner, weil alle zu freundlich sind und sich stattdessen sofort für den Besitz ihres Autos rechtfertigen – notfalls mit erfundenen aber wichtigen Versorgungsfahrten zu bedürftigen Verwandten in dings, äh, Hessen. Und das wäre wirklich wirklich auch der einzige Grund, warum man immer noch ein Auto in der Stadt hält. Denn alles andere, da müsse man zustimmen, kann man ja wirklich mit den bimmelnden kleinen Eisenbahnen erledigen.

Text: max-scharnigg - Illustration: K. Bitzl

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