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Hauptsatz: „Ich brauch’ jetzt erstmal 'nen Schnaps"

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Ich weiß nicht, ob es schon medizinische Erhebungen zur Placebowirkung dieses Satzes gibt. Fest steht, dass er nach Auffahrunfällen, wichtigen Prüfungen, durchwanderten Berggewittern, überlebten Seilbahnabstürzen, Flugzeugturbulenzen und Diebesattacken, vermeintlichen Begegnungen mit längst Verstorbenen, Verfolgungsjagden in Unterhosen, Schlauchbootplatzungen, versehentlichen Steuerpfändungen und ja, auch nach schlechtem Essen fortlaufend gesagt wird. Interessant ist dabei einiges. Zum Beispiel, dass oft die indirekt Betroffenen allen voran nach einem Schnaps schreien, also die Beifahrer und Mitangeklagten, die Copiloten und die, die nur in die im Schlauchboot geplatzte Familie eingeheiratet haben. Diese Mitläufer wollen mit dem Hauptsatz ausdrücken, dass sie soeben mitgelitten haben, als hätte es sie selber voll betroffen und das machen sie deutlich, indem sie die Situation als Schnapssituation einordnen. Es ist ja das Äußerste, was ein vorwiegend in sitzender Tätigkeit arbeitender Mensch an Krisenbewältigung zu leisten imstande ist: Schnaps trinken. Eigentlich ein schöner Brauch. Er verbindet die Volks-Hoffnung, dass es doch so was wie ein „tonikum ex macchina“, ein Wunderheilmittel geben könnte, nach dessen Genuss alles ein bisschen einfacher ist. Gleichzeitig ist der Griff zum Schnaps in diesen Situationen immer eine absolute Ausnahme, ein Tabubruch, denn sonst trinkt man ja nicht schon um elf Uhr morgens. Das verlagert die Aufregung ein wenig, gewissermaßen killt man die eine Ausnahmesituation mit der anderen Ausnahme und beruhigt sich dabei. Und ganz medizinisch gedacht ist es auch ein gutes Zeichen, wenn man noch Schnaps trinken kann, ohne dass er gleich wieder an der Seite rausläuft. Falls es sich um Nachbars Selbstgebrannten handelt, erfüllt die Schnapskur auch noch einen weiteren Zweck – das Zeug schafft neue Schmerzen und mithin neue Probleme, das lenkt von den alten ab. Als Kind fand ich dieses Erwachsenen-Mantra mit dem Schnaps schon leicht unseriös und nahm mir vor, es später nicht zu gebrauchen. Vor allem weil der verschorste Akkordeon-Onkel aus der Zone es bei seinen langen Besuchen am häufigsten anbrachte und am Ende überhaupt keine Anlässe dafür brauchte. Es genügte ihm schon das gemeinsame Beobachten eines Eichelhähers aus dem Badezimmerfenster, um postwendend lustig einen Schnaps zu fordern. Es war aber gar nicht lustig. Leider sage ich heute den Schnaps-Satz doch auch manchmal. Oft genug fällt mir erst danach ein, dass gar kein Schnaps im Haus ist. Aber das macht nichts. Irgendwie hilft der Satz alleine auch schon.

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