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Hauptsatz: "Ich glaube, ich pack's dann mal!"

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Ich gehe echt schlecht aus. Es ist längst soweit, dass ich Freunde, die anrufen, um mit mir auszugehen, via Telefonschalte miteinander verkupple. Sollen die zusammen gehen, ich bleibe daheim. Die Taste zum Verkuppeln ist auf meinem Handy schon ganz durchgescheuert. Natürlich verstehe ich das Prinzip Ausgehen. Die Nacht, das Trinken, die Halborte, an denen man sich rumdrückt, Musik und Flirt und Prügeleien. Alles für sich genommen super, alles zusammen aber für mich nicht machbar. Denn ich löse mich, und das muss bitte unter uns bleiben, ab 24 Uhr auf. Erst verliere ich die Konturen zwischen Ohren und Nase, dann alle übrigen. Sodann läuft mir ein rotes Wasser in die Augen. Mein Haar, das tagsüber manierlich lag, weicht im Dunkel eines Clubs auf, um dann schnell zu braunem Flachs zu verkleben. Meine Lippen büßen an Standkraft ein und gönnen sich bei jeder Kopfdrehung ein ruhendes Moment, schwappen also immer ein bisschen zu langsam hinter mir her. Meine Haut talgt wie wild. Über diese und andere Zersetzungen legt sich noch eine dichte Müdigkeit – ein Smog aus Selbstekel, Menschenhass, Verzweiflung und Sodbrennen. So bin ich, wenn ich nach 24 Uhr noch unterwegs sein muss. Deshalb habe ich das Ausgehen ziemlich eingehen lassen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ausnahmen sind die vielen lieben Feste bei all den bunten Freunden. Dorthin gehe ich, denn tatsächlich verlangsamt sich der geschilderte Verfall, sobald ich mich in Privatgemächern aufhalte. Vielleicht werden Ärzte ja irgendwann herausfinden, dass ich nur auf diese Hygiene-Kugeln in Pissoirs oder auf Bierdeckel allergisch war, jedenfalls halte ich in Wohnküchen und auf Balkonpartys etwas länger durch, als in Kneipen und Clubs. Trotzdem, wenn sich nicht gerade jemand ein Bein bricht und ins Krankenhaus will, bin ich auch hier meist der Erste, der gehen möchte. Egal, wie gut die Feier ist, ich muss heim. Meine Wohnung ruft mich, wie eine Walmutter ihr Walkind in der Weite des Pazifiks ruft. Mit Sonar und Büchsentelefon. Nun ist dieser Umstand dem Gastgeber meist schwer vermittelbar. Ich scheue mich davor, als Erster an ihn heranzutreten und mein baldiges Verschwinden zu annoncieren. Gar nicht nur, weil mich sein gekränkter Blick und seine Bleib-doch!-Propaganda martern. Der kluge Hausherr weiß, dass durch mein Gehen das Fass des Abschieds angezapft wird. Geht einer, schließen sich andere an oder denken zumindest darüber nach. Die Ausgangstür muss also so lange wie möglich unberührt bleiben, der Partychef verteidigt sie streng. Das alles macht es unheimlich schwer, früh von einem kleinen Fest zu verschwinden. „Ich glaube, ich pack’s dann bald mal“ aber ist eine wunderbare Augenwischerei und ich benutze den Satz deswegen gern und heftig. Er ist so gut konstruiert, dass er alle Schärfe des „Ich will gehen!“ in etwas Nettes und Unbedrohliches lautmalt. Packen, das tut so, als ob ich erstmal meinen Kram suchen müsste, dass ich noch mal in alle Winkel und Ecken der Festgesellschaft eintauchen würde, bevor es ernst wird mit Adieu. Packen, das beschreibt doch eigentlich erst die Vorbereitung zu einer Abreise und gar nicht die Abreise selbst. Zusammen mit den vagen Genossen „Ich glaube“ und „bald mal“ wird damit musterhaft verschleiert, was in Wirklichkeit direkt im Anschluss passiert: Ich packe es ganz schnell. Ich gehe. Und auf der Party: „Wo ist denn der Max? Hat der es etwa schon gepackt?“

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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