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Hauptsatz-Kolumne: „Da wär’ auch noch ein Parkplatz gewesen“

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In München wird viel, ja eigentlich ausschließlich, über Stadtviertel gesprochen. Die Münchner sind geradezu besessen von ihren Vierteln und der BR sendet täglich Dokumentarfilme aus Schwabing, Haidhausen und der Au, in denen Menschen über ihr Viertel sprechen. Dabei unterscheiden sich die paar Stadtviertel hier kaum , sieht man von Fassadentrends ab, die mal mehr, mal weniger ausgeprägt sind. Im Übrigen kann man sich in München ohnehin nicht aussuchen, in welchem Viertel man wohnen möchte, man nimmt die einzige freie Wohnung die es gibt, löst für die Nebenkosten seinen Bausparvertrag auf und basta.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich selber bin jedenfalls zufällig sehr nett geviertelt. Wenn ich aus der Haustüre trete, gibt es da zwei Bäume, ein paar kleine Geschäfte und bei Föhn kann ich den Mittleren Ring sehen. Die Straßen rund um mein Haus sind nicht besonders lang und nach berühmten Eisessern oder Zahnärzten benannt. Die Menschen, die hier sonst noch wohnen, haben zu wenig Geld um sich ein Haus im Grünen zu kaufen, aber zu viel, um sich mit nur einem Auto zu begnügen. Die meisten haben drei: Einen Geländewagen für Ihn, einen Stadtflitzer für Sie und dann noch ein Auto, um an den Starnberger See zu fahren und dort ordentlich rumzuzischen. Einen Kinderwagen haben sie auch, aber der muss zum Glück nicht am Straßenrand parken, dort stehen nur die drei anderen Kisten. Man braucht kein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen, um zu erkennen, dass Straßenrand in meinem Viertel ein sehr seltenes Gut ist. Ja, Straßenrand ist bei uns eine härtere Währung als Gold, vorausgesetzt er wird nicht von Parkverbotsschildern entwertet. Gedealt wird damit direkt auf der Straße, vorzugsweise am Nachmittag. Bis zum frühen Abend sind die Geschäfte gemacht, dann ist kein Fitzel Straßenrand mehr übrig, alles vollgeparkt, selbst auf Verkehrsinseln und den Stufen vor der Kirche stehen die Autos. Das ist also der Standardzustand, wenn meine feste Freundin und ich mit unserer bescheidenen PS-Pauke um die Ecke biegen. Obwohl ich es besser weiß, fahre ich immer zuerst direkt zu unserem Haus, es könnte ja sein, dass diesmal ein Plätzchen vor der Tür frei wäre. Als Kind dachte ich auch immer, es könnte doch mal sein, dass im Spielzeuggeschäft zufällig alle Modelleisenbahn-Güterwagons wegen Lagerräumung verschenkt werden, wenn ich vorbeigehe. Nun ja, weder das eine noch das andere ist mir je widerfahren. Wir weiten also unsere Suchkreise konzentrisch aus, bis wir schließlich – in einem anderen Viertel wohlgemerkt – zum Stehen kommen und von dort in einer halbstündigen Wanderung wieder Tisch und Bett zustreben. Von der konzentrierten Parkplatzsuche sind wir dabei so mitgenommen, dass wir immer noch jeden Zentimeter rechts und links scannen und jedes Mal hagelt es dabei irgendwann den Hauptsatz. Es gehört nämlich zu den daseinstypischen Gemeinheiten, dass wenige Meter vor der Haustür ein Musterknabe von einem freien Parkplatz auftaucht. Anfangs habe ich bei seinem Anblick kehrt gemacht, bin zurück zum Auto, um freilich festzustellen, dass er bei meiner Ankunft ein Musterknabe von einem besetzten Parkplatz war. Nach dieser frustrierenden Erfahrung ging ich dazu über, den unverschämt freien Parkplatz zu fotografieren, um damit wenigstens vor den Nachbarn angeben zu können. Aber man stelle sich vor: auf den Abzügen der Bilder war der Parkplatz schon wieder besetzt! Heute weiß ich natürlich, das der freie Parkplatz, den wir regelmäßig vor unserer Tür sehen, nichts anderes ist, als eine urbane Fata Morgana. In unserer Erschöpfung spielt uns die Wahrnehmung einen Streich. Diese blöde Kuh.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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