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Hauptsatz-Kolumne: "Das kann ich vielleicht später wieder bei ebay verkloppen"

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Was viele nicht wussten: Ich bin kein Experte in Sachen Aufbaustudiengänge. Dennoch prognostiziere ich, dass es bald den Aufbaustudiengang "Computerhistorie" oder auch "Informatik des Mittelalters" geben wird. Computer altern ja sehr schnell, schneller noch als getigerte Katzen, bei denen, das weiß jeder, ein Lebensjahr sieben Menschenjahren entspricht. Ein Computerjahr entspricht etwa 24 Menschenjahren, das haben internationale Forscherteams vielleicht neulich herausgefunden. Etwa zeitgleich habe ich hinter meinem Schreibtisch feucht durchgewischt und dabei ein paar Kubikmeter Elektroverpackungskartons ans Licht befördert. Diese Kartonagen und Packungen sind ein Gräuel. Einst lagen das Mobiltelefon, ein DVD-Brenner oder eine USB-Buchsen-Hub-Flöte darin. Ihres Hauptorgans beraubt, verblieben in den Kartons grämliche Überreste: kleine Kabel, Software-CDs, Anleitungen und manchmal auch Schnüre und Karabiner, mit denen man sich die Festplatte an den Hut stecken sollte, zum Beispiel beim Joggen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dieses Zeug bleibt also in den Kartonagen übrig, als ein wild zusammengewürfeltes Häufchen. Wenn das neue Mobiltelefon der Braten ist, dann ist das Häufchen quasi das Suppengemüse. Es macht Geräusche, wenn man die Kartons schüttelt. Es macht, dass die Kartons nie leer sind. Weil sie nicht leer sind, kann ich sie nicht wegwerfen. So stapeln sie sich hinterm Schreibtisch, ein jeglicher mit seinem Resthäufchen darin. Niemals könnte ich so eine Software-CD oder ein winziges Kabel einfach in den Müll geben, denn in mir wurde eine Art moralische Wegwerfsperre verbaut, die sehr hinderlich ist. CDs hält sie immer noch für Wertgegenstände und all die kleinen Kabel sehen so nützlich aus, dass sich ihre Entsorgung wie ein Strafdelikt anfühlen würde. Allerdings benütze ich sie nie. Das Zeug lagert jahrelang in seinen Kartons. Jedes Jahr kommen neue dazu, denn wie bereits erwähnt, altern die Geräte schnell und unheimlich: Aufgaben, die sie heute toll besorgen, werden sie in zwei Jahren nicht mehr zu meiner Zufriedenheit versehen, auch wenn es genau die gleichen sind. Man könnte sagen: Meine Zufriedenheit sinkt mit jeder seit der Anschaffung erschienenen Saturn-Beilage. Also: Kartonberge. Gelegentlich trage ich einige davon in den Keller. Auf dem Weg nach unten komme ich an den Mülltonnen vorbei, die gleich stark mit den Kartons flirten. "Gib' sie her", sagen die Mülltonnen, "wirf sie mitsamt den ganzen Anleitungen, CDs und Ersatzdeckeln in uns rein!" "Ich will ja," sage ich, "aber vielleicht kann ich das Zeug später noch mal bei Ebay verkloppen, und dann brauche ich die Verpackung und das unnütze Kleinzeug." Dabei stelle ich mir Szenarien vor, wie ich unerhörte Preise für meinen ausgeleierten Scanner erziele, nur weil sämtliches Zubehörkleinzeug originalverpackt dabei ist und sich der Käufer in Berlin-Wilmersdorf (Durchgeknallte wohnen in meiner Vorstellung immer da), total irre über das kleine Kabel freut. Also ab in den Keller damit. Natürlich habe ich noch nie Elektroschrott auf Ebay verkauft und schon gar nicht verkloppt. In lichten Momenten gestehe ich mir sogar ein, dass meine Verpackungs-Sammlung im Keller nur das Ergebnis einer bescheuerten Ausrede ist, in die ich mich blind ergebe. Diese Selbstbezichtigung aber tut weh, so sehr, dass ich zur Linderung neuerdings denke: Bestimmt gibt es bald einen Aufbaustudiengang "Computerhistorie". Die angehenden Computerhistoriker dort werden für ihre Forschung händeringend nach ausgeleierten Scannern und alten Mobiltelefonen suchen. Ihre Begeisterung wird grenzenlos sein, wenn ich ihnen nicht nur diese Geräte besorge, sondern vor allem auch den original erhaltenen Zubehörmix bieten kann. Könnte doch sein, oder?

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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