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Hauptsatz-Kolumne: "Warst du beim Friseur?"

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Nichts gegen rhetorische Fragen. Wenn ich mal bei der Mutter aller rhetorischen Fragen zu Gast bin, dem anglo-amerikanischen "How are you?", kippe ich immer noch vor Ergriffenheit vom Stuhl. Aber das lahm im Vorbeigehen geflapste "Warst du beim Friseur?" gehört nicht in diese nette Verwandtschaft. Es ist in den meisten Fällen luftleeres Hingerede an einen unschuldigen Menschen und keinesfalls vergleichbar mit einem "Geht's dir gut?" Bei dem ist die Antwort wenigstens der Form halber offen, es gibt immerhin so eine Art Grundlage für Interesse. Für die Antwort "Ja, ich war beim Friseur" interessiert sich hingegen niemand, denn sie bestätigt nur den Ausgangsverdacht. Falls doch mal jemand sagt: "Nö, war ich nicht, warum?" geht es nur schwer glimpflich weiter. Höchstens mit einem "Weil du irgendwie so anders aussiehst." Aber das hätte man charmanter auch ohne das Friseur-Vorspiel sagen können.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich gehe, das sei für die Nachwelt hiermit verbürgt, zehnmal im Jahr zum Friseur. Zehnmal im Jahr gibt es die zwei Tage danach, in denen mir die ganze Langeweile meiner Person in einer Frage entgegenpeitscht. Jeden, selbst die entfernten Bekannten Hinz und Kunz, treffe ich in diesen Tagen und keinem fällt Interessanteres ein als "Warst du beim Friseur?" Ich sage dann: "Ja". Da hält die Welt nicht gerade inne vor Ehrfurcht, sondern dreht sich weiter - um einen leeren Moment reicher. Dabei spreche ich eigentlich gerne über oberflächliche Sachen, über Hosen, Schuhe, darüber wer aktuell blöd ist und so. Aber ich renne doch nicht an andere hin und frage: "Hast du eine Hose an?", sondern sage eben etwas über die Hose. Klar, wenn einer den Arm in Gips hat, darf man fragen, ob der nun gebrochen ist. Dahinter steckt ja eine Geschichte. Hinter meinen geschnittenen Haaren aber nie, es gehört zur Körperpflege und niemals würde ich mir die Freiheit nehmen, meine Nachbarin im Treppenhaus mit "Bist du gewaschen?" zu begrüßen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Frage nur aus Gewohnheit gestellt wird, ein Alltagsreflex. Auge: Kürzere Haare - klick - Mund: Warst du beim Friseur? Netterweise unterstelle ich den penetrant Fragenden, dass es vielleicht die einzige ihnen bekannte Methode ist, persönlich Anteil zu nehmen. Denn es ist ein Strähnchen persönlicher, als über den alten Aufzug oder das alte Wetter zu sprechen. Die Friseur-Frage gibt eine Aufmerksamkeit für den anderen vor, der auch persönliche Dinge auffallen. Wenn sich diese Annäherung aber Monat für Monat immer nur auf den Kopfschmuck beschränkt, wirkt sie mechanisch stumpf. Ich empfehle solchen Verbalmechanikern, den Friseurfrage-Reflex zu überlisten und beim Erscheinen sichtbar anderer Haare mal ein lockeres "Warst du übrigens im Gefängnis?" anzubringen. Das ist gleich viel erfrischender.

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