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„Hört man ja gar nicht!“

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Das Herumtragen eines Dialekts würde ich gerne unter strenge Auflagen stellen. Ich finde, es sollte nur dem erlaubt sein, Dialekt zu sprechen, der vorher eine Prüfung in korrektem Schriftdeutsch abgelegt hat, und zwar eine mündliche. Jetzt hansmosern gleich wieder welche: „Aber Wienerisch ist doch total schö-hön.“ Stimmt ja auch, ich mag eigentlich jeden guten Dialekt. Wenn einer einen hat, gehe ich hin und höre in dem Maße gerne zu, wie ich auch gerne einem versierten Bratschenbauer beim Bratschen bauen zusehe. Aber ich finde eben, Dialekt sollte etwas sein, das man sich nur an guten Tagen umhängt wie ein feines Tuch und das man dann schön wehen lässt. Ein Luxus, den man sorgfältig gebraucht. Im schnöden Alltagssprech oder beim Sex sollte man ihn aber jederzeit zugunsten einer klaren, neutralen und funktionalen Sprache abschalten können.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich stelle mir das so vor: Menschen, die einen Dialektschein erwerben wollen, müssen dazu einen Prüfungssaal in ihrem jeweiligen Standesamt betreten, der an den Prüfungstagen mit dicken Schallschutzvorhängen abgehängt ist. Hinter einer blickdichten Strumpfhosenwand sitzen drei Prüfhörer, von denen einer immer ich bin. Dann müssen die Testpersonen den folgenden Test-Text aufsagen: „Ich habe den Schwobsi in einer Diskothek neben der Autobahnkirche kennengelernt. Ich kannte den Schwobsi vorher gar nicht. Hast du Lust auf ein Gespräch, hat er gefragt. Dabei habe ich festgestellt: Der mag Humor und Leuteverhohnepipeln genauso gerne wie ich. Dann habe ich zu ihm auf Wiedersehen gesagt.“ Wer diesen Fallenparcours bewältigt, ohne „Isch“, „hasch“, „ned“ und andere Mundart-Basics unterzumengen, darf hinter die blickdichte Strumpfhosenwand treten und muss dort nur noch auswendig aufsagen, woher er gebürtig wegstammt. Es sagt der Prüfling also schlimme Dinge wie Esslingen am Neckar, Halle/Saale, Radebeul oder München und dazu hüpfen wir Amtsschimmelchen wiehernd auf unseren Stühlen und schreien: „Hört man ja gar nicht! Hört man ja gar nicht!“ Alle sind dann sehr glücklich. Mit diesem rituellen Urteilsspruch der Prüfer ist der Dialektschein erworben. Der Prüfling hat bewiesen, dass seine Sprache keine Spuren von Dialekthaselnüssen enthält. Er darf sofort den vergoldeten „HMJGN“-Button mit einer Nadel an seine aufgedunsene Moncler-Daunenjacke befestigen, woraufhin der Jacke explosionsartig die Luft ausgeht und der frischgebackene Dialektbesitzer wie ein schwöllernder Luftballon durch die Luft saust. So denke ich mir das.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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