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"Ich bin ja mit Namen ganz schlecht"

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Die kleinste Maßeinheit die ich kenne, ist jene, die bei mir zwischen einem Vorstellen und dem Vergessen des vorgestellten Namens vergeht. Selbst wenn ich mir vornehme, einen Namen zu merken, ist er gleich weg. Ein Vögelchen kommt und trägt ein Zweiglein im Schnabel, das legt es statt des Namens in meinen Kopf. Zum Glück gibt es diesen Hauptsatz, der nichts als eine Unverschämtheit ist. Er tut so, als wäre meine Hirnträgheit eine amtliche Unpässlichkeit, ein medizinischer Befund, so ähnlich wie Rot-Grün-Blindheit. Im Grunde gehört der Hauptsatz geschwisterlich zu dem Satz von den schweren Knochen, den man sagt, wenn die Waage durchdreht – eine Entschuldigungsfloskel, die keiner glaubt, aber alle akzeptieren. Soweit, so namenlos. Es kommt aber noch feister, der geneigte Leser ahnt es: Ich bin auch mit Gesichtern schlecht. Ich bin mit Namen und Gesichtern schlecht! Das bedeutet, wenn sich mir jemand in traulicher Absicht nähert, gar schon die Hand in meine Richtung hält, dann weiß ich erst nicht wer es ist und kurz darauf nicht, wie er heißt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Menschen, die Zutritt zu meinem Gefühls-Backstagebereich haben, deuten meine Namen- und Gesichtsschwäche dahingehend, dass ich mich schlicht nicht für Menschen interessiere. Das klingt unfein, als würde ich absichtlich über das hinweghobeln, was jedes Menschenkind so einzigartig macht: Name und Nasen-Augen-Mund-Konstellation. Als ob ich nur bare Kopf-Kegel in Hautfarbe leiden könnte. Was ich mir wunderbar merken kann, sind Straßenkreuzungen oder Kurven und Biegungen, die ich einmal gegangen bin. Da kann ich nach Jahren an einer unscheinbaren Kurve vorbeikommen, die ich einst im Dunkeln entlang schritt und erkenne sie sofort wieder. Interessiere ich mich also mehr für Kurven und Straßenkreuzungen als für Menschen? Müsste ich mit dieser Fähigkeit nicht Straßenranddesigner werden? Gleichzeitig ginge ich aber ungern mit Biegungen einen Kaffee trinken oder gar gleich ins Bett. Für derlei muss schon noch ein Mensch herhalten und also weiterhin der Satz vom fehlenden Namensgedächtnis. Mit dem stehe ich zum Glück nicht alleine da. Nahezu jeder benutzt ihn. Dagegen mangelt es an Menschen, die verkünden, dass sie ein durchschnittliches Namensgedächtnis haben. Oder hat das nicht neulich der Dings sogar gesagt? Der mit den blonden, ne, der mit der Nase?

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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