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„Ich möchte mit Menschen arbeiten“
Wer diesen frommen Hauptsatz bereits umgesetzt hat, für den gilt beim Klassentreffen die Abwandlung: „Das Schöne an meinem Beruf ist, dass ich viel mit Menschen zu tun habe.“ Wenn es ganz dick kommt, sind es sogar: viele „verschiedene“ Menschen. Allen Variationen liegt der gleiche, erleichterte Unterton bei: ,Juhu, ich habe den Robotern noch mal ein Schnippchen geschlagen!‘ Es ist ein Glück, dass dieser Wunsch nach menschlichem Kontakt im Beruf für viele eine Idealvorstellung ist. Wenn alle lieber mit Tieren oder auf einem Leuchtturm arbeiten würden, wäre Deutschland weder Exportnation noch Turniermannschaft geworden. Denn, so schwärmerisch der Wunsch stets vorgetragen wird – er ist leicht zu erfüllen. Nahezu jeder arbeitet mit Menschen. Irgendwer muss einen ja einstellen, bezahlen oder das Leben zur Hölle machen. Es gibt nur wenige Berufe, bei denen man nie zwingend einen anderen Menschen treffen muss. Einer davon ist Blogger. Die restlichen 98 Prozent der Berufstätigen sehen sich an ihrem Arbeitsplatz, genau wie zuvor in der Uni oder dem Kindergarten: umringt von täglichen Menschen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Nun gilt ein Kuchen nur als hausgemacht, wenn er im Hinterstübchen des Cafés fabriziert wird und nicht in der Fabrik, obwohl ein Fabrikgebäude im Grunde auch ein Haus ist. Genauso gibt es bei dem, was gemeinhin als „Arbeit mit Menschen“ gilt, feine Unterschiede. Ein angehender Arzt und ein angehender Versicherungsvertreter würden beide für sich reklamieren, dass sie viel mit Menschen zu tun haben. Aber nur der Arzt, besser noch der Landdoktor, erfüllt jenen Volkswunsch nach innigem Kontakt mit den Mitmenschen. Der oberste Arbeiter mit Menschen war Albert Schweitzer. Auf den Rängen folgen Mutter Theresa und Gernstl, der im Bayerischen Fernsehen als verbaler Rückenkratzer der einfachen Leute fungiert.
In einem Büro an einem Computer zu sitzen, wird, trotz vieler Kollegen, nicht als Arbeit mit Menschen gewürdigt, sondern taugt nur als Ausrede für blasse Haut. Seltsamerweise wird auch Berufen, die im wahrsten Wortsinn mit Menschen arbeiten, das Wohlwollen verwehrt: Sektenführer, Kannibalen und Totengräber dürfen beim Klassentreffen nicht prahlen. Ihr Wunsch „Ich wollte immer Menschen verarbeiten“, ist noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl