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„Ich müsste auf der Gästeliste stehen“

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Mit einer Gästeliste verhält es sich so: Wer nicht darauf steht, findet sie anstrengend, wer darauf steht, findet sie toll. Beim Mond ist es genau umgekehrt. Da ich einerseits mit einem ausgeprägten Hang zu zwischenmenschlicher Harmonie gesegnet und andererseits gelegentlich auch Journalist bin, stellt die Gästeliste oft einen Grenzposten zwischen beiden Welten dar. Gerne sage ich den netten Promotern und Musikern zu, die mich auf ihre Konzerte oder Kleinkunstdarbietungen einladen. Sehr ungern stehe ich dann am Abend der Kleinkunstdarbietung in einer Reihe mit Menschen, die ihr sauer verdientes Geld in der Hand kneten, um es knirschend beim Typen an der Kasse abzugeben. Schlechtes Gewissen wegen Nichteinhaltung solidargemeinschaftlicher Regeln!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nie schaffe ich es deswegen auch, wie Graf Pozzi einfach an den Wartenden vorbeizugehen und vorne mit meinem Namen zu bezahlen. Stattdessen stelle ich mich an wie alle und flüstere erst, wenn ich an der Reihe bin, beschämt den Hauptsatz. Neben mir steht dabei die Hoffnung, mein Hintermann möge frei von niederen Instinkten wie etwa Neid und gutem Gehör sein. Das Flüstern führt aber nur dazu, dass mich das Kassenwesen mit seinen vom Nachtleben geschändeten Ohren nicht versteht. Also muss ich den unliebsamen Satz lauter als normal sprechen. Schon ragt der Unmut der Menge hinter mir auf, wie das Matterhorn hinterm Edelweiß. Schließlich prahle ich gerade nicht nur lauthals mit dem Gratis-Eintritt, sondern verzögere auch den Zutritt. Immerhin raschelt es jetzt an der Kasse, und ein kaffeefleckiger, zweimal mit Klebeband verarzteter Fetzen randvoll mit Namen wird studiert. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich vor Publikum meinen Nachnamen buchstabieren muss, was eines der wenigen Dinge ist, die ich trotz jahrelanger Übung nicht routiniert hinkriege. Wer das nicht glaubt, dem gestatte ich gerne das Erlebnis, das Wort „Scharnigg“ einem fremden Menschen stringent zu erklären. Gleichzeitig mit meinem lautmalerischen Vortrag, versuche ich mich so zu positionieren, dass ich selber auf die Liste sehen kann. In der Hälfte der Fälle finde ich meinen Namen lange vor dem Türpersonal und zeige mit dem Finger drauf. In der anderen Hälfte der Fälle finde ich meinen Namen nicht und der andere Mensch auch nicht. Es wäre übertrieben, wenn man ihm besonderen Eifer bei der Suche attestieren würde. Stattdessen bummelt er mit einem Interesse durch die Namen auf der Gästeliste als wäre es die Sockenschublade seines Lateinlehrers. Was dann folgt, habe ich schmerzhaft oft erlebt: Schulterheben und etwas das wie „Ne, sorry hab ich hier nich’, dein’ Nam’“. Ich darauf so: „Komisch, müsste aber, der Kai von Soulfiction 3000 hat aber, ...“ Bringt nie was. Großes gegenseitiges Angucken. Dazu die knolligen Blicke der Wartenden im Rücken. Wenn es sich um normale, mäßig besuchte Kleinkunst handelt, zahle ich jetzt sofort die geforderten 412 Euro, habe den ganzen Abend schlechte Laune und höre absichtlich nicht so genau hin. Wenn es sich um brachial ausverkaufte Superkunst handelt, wird die Situation mit meinem vergessenen Namen auf der Liste schon brenzliger. Schließlich könnte man denken, ich wäre so ein Scharnigg, der keine Karte mehr bekommen hat und sich mit einer schwachen Finte jetzt doch noch ins Haus bringen will. Die Leute um mich herum inklusive Kassentyp denken auch genau das. Dann hilft nur gemurmeltes Absingen von Fantasie-Chorälen und dazu im Rückwärtsgang durch eine Wand aus Häme zurück. Diese Rückzüge verhärten das Gemüt so sehr, dass man als Popjournalist nach wenigen Jahren problemlos ein Betonpflanzkübel für Tulpen in Fußgängerzonen werden kann.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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