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„Im Supermarkt gibt’s echt jetzt schon Lebkuchen!“

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Dieser Satz hat gerade Hauptsaison. Aufrichtige Menschen aller Altersklassen benutzen ihn mit einer deluxe-Empörung. Aber was pört da eigentlich? Die Tatsache, dass unsere Supermärkte Waren feilbieten, ohne sie vorher auf Traditionspassform und saisonales Bauchgefühl der Kunden untersucht zu haben? Wen das noch empört, der muss sein bisheriges Leben in einem kleinen Kuschelkästchen auf dem Schrank verbracht haben. Stört es die Lebkuchensympathisanten, wenn im September noch Erdbeeren und im März Äpfel verkauft werden? Nö! Nur von Spekulatius-Praecox fühlen sie sich in ihrer inneren Weihnachtsuhr gegängelt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Menschen möchten das Korinthen-Zeug erst dann sehen, wenn zumindest kachelmanntechnisch denkbar wäre, dass es schneit, sobald sie mit der Lebkuchenpackung aus dem Supermarkt kommen. Das ist nämlich ein romantischer Moment, genau wie es auch ein romantischer Moment ist, wenn einem die Kassiererin im Kino ungefragt einen Pärchensitz anbietet. Also, wenn man als Pärchen angereist ist. Wenn sie einem den Sitz anbietet, obwohl man alleine ins Kino gegangen ist, etwa weil sich alle anderen den Film „Antichrist“ nicht „antun“ wollen, dann sollte man vermutlich eine Diät anfangen. Aber bloß nicht mit verfrühten Lebkuchen! Denn die stammen, wie man weiß, aus Treibhäusern in Holland und schmecken nur nach Wasser. Holländische Treibhäuser wurden mir in meiner Kindheit als die schlimmsten Orte der Welt erklärt. Unsägliches geschehe dort mit Gurken und Tomaten und am Ende schmeckten sie nach nichts, sagten die Erwachsenen. Ich fand das insgeheim immer noch besser, als wenn sie nach Pisse geschmeckt hätten oder sonstwie schlecht, hielt aber meinen Mund. Von dieser trainierten Abneigung jedenfalls zehre ich heute noch, sie hat sich sogar auf das gesamte Holland und Teile Belgiens ausgeweitet. Dabei habe ich noch nie holländische Treibhäuser gesehen. Vielleicht sind sie ganz hübsch, mit Grachten und damenradfahrenden Damen davor. Spanische und italienische Treibhäuser habe ich schon gesehen, bzw. bin daran vorbeigebraust, in einer landestypischen Brausevorrichtung. Die sehen nicht gut aus, diese südländischen Treibhäuser, sondern schmutzig und formaldehydhaft und kein bisschen archaisch. Archaisch ist das Wort, das in allen Architekturzeitschriften steht, wenn ein modernes Bauwerk romantisch beschrieben werden soll. Obwohl also auch andere ausländische Treibhäuser keine Zier sind, weise ich nur holländische Tomaten von mir. Italienische und spanische lasse ich mir gefallen, genau wie sich Lebkuchenfreunde Ende November Lebkuchen gefallen lassen. Was ich sagen will: Wir sind saubigotte Konsumenten. Wegen uns müsste der Supermarkt in Doofmarkt umbenannt werden.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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