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Irgendwie musst du doch auch reingekommen sein

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Das ist ein Satz, mit dem ich beruhigt werden soll, während ich meinen Schlüssel nicht finde. Ich finde ihn nicht, weil ich ihn nach dem Hereinkommen irgendwo fallen ließ und an Spanien (oder Fischstäbchen) dachte, statt an Schlüsselendlagerstätten. Menschen, die eine Tür aufschließen und dann kühl bis ans Herz hinan den Schlüssel an einen immergleichen Platz legen, bevor sie richtig da sind und Grüß Gott sagen, sind mir unheimlich. Die können bestimmt auch an Luftpolsterfolie vorbeigehen, ohne mindestens zehn Luftpolster knallen zu lassen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Das Motivierende am Aufschließen einer Tür ist doch ihr Versprechen, dass sich dahinter etwas befindet. Oft etwas anderes, als davor. Meistens ist es sogar das B in von A nach B, das hinter der Tür wartet. Es ist deswegen sehr natürlich, dass man sich sofort in dieses Andere hineinwirft und keinen Sinn mehr für den ollen Schlüssel hat. Das nutzlos gewordene Ding verwandelt sich in meiner Hand zu etwas ganz Wertlosem, ich lege ihn nirgends hin, ich scheide ihn eher auf den nächsten Schritten seitlich aus. Dann denke ich exakt so lange nicht mehr daran, bis ich wieder hinaus muss und auch dann erst in der letzten Sekunde. Lange davor habe ich mich an die Aufenthaltsorte von Hose, Geldbeutel und Mütze erinnert, sogar Schirm und die Bonuskarte der Zopfstrickerei gefunden, aber dann: Schlüssel verschollen. Auch wenn der Mütterrat Geh noch mal zurück, vielleicht fällts dir dann ein gelegentlich stimmen sollte, beim Schlüsselsuchen ist er ganz nutzlos, weil man ja dabei immer gleich zur Tür hereingestürmt ist und alles von sich geworfen hat. 

Natürlich ist es in den meisten Fällen so, dass alles, was ich zum Verlassen der Wohnung benötige, in einem wüsten Streugebiet rund um die Tür verteilt ist und neben Sonnenbrille und Parkkarte eben auch der Schlüssel liegt. Falls nicht, ist bald der Hauptsatz an der Reihe. Gesprochen wird er entweder von meiner treusorgenden Frau Freundin oder ich sage ihn selber vor mich hin, als Eigen-Krisenintervention. Die Logik des Satzes wirkt dabei zwar beruhigend, ändert aber doch nichts am grundlegenden Problem. Der Satz ist also verwandt mit dem Daran stirbt man nicht eines Kassenarztes. Ohne Schlüssel kann ich nicht gehen, alles hält sich auf, ich verpasse erst Züge, dann Kreuzzüge. Wenn alle Manteltaschen umgestülpt, alle Zeitungshaufen durchwühlt sind, im Papierkorb und im Vogelhäuschen nachgesehen wurde, dämmert mir das Einfachste und Schlimmste: Ich habe ihn außen an der Tür stecken lassen.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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