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„Möchtest du auf der Bank sitzen oder soll ich?“

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Eine Zeit lang dachte ich, ich wäre sehr männlich, wenn ich mich immer klar und schnell für etwas entscheide. Ich wollte damit eine Gegenbewegung zum sehr angesagten „Kannnmichnichentscheiden“-Trend begründen. Leider hat es nicht funktioniert, nicht nur, was die Männlichkeit anging, sondern vor allem weil mir dabei die kleinen Alltagsfragen immer Schwierigkeiten bereiteten und mich sogar zunehmend verwirrten. Über die Unmöglichkeit, die „Sollen die Ohren freibleiben?“-Frage beim Friseur zu beantworten, habe ich schon mal gesprochen. Vor der Stewardess im Flugzeug fürchtete ich mich schon in der Flughafen-S-Bahn, weil ich wusste, ihre Getränkefrage würde mich wieder in hemmungsloses „Äh“-Stakkato versetzen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der heutige Hauptsatz nun gehört auch zu diesen gemeinen, verstörenden Mini-Fragen und spielt sich stets bei Restaurantbesuchen ab, die bei mir auch oft nur Wirtshausbesuche sind. Entgegen der landläufigen Meinung finde ich dieses dauernde Essengehen ja nicht unstressig: Erst muss man stundenlang gemeinsam überlegen, wo man hin möchte und auf was man Hunger hat. Dazu versucht man tatsächlich in seinen Bauch hineinzuhorchen, bis er brüllt „Ich lieeeeebe Thai!“ und das ist es dann. Später muss man einen Raum betreten, in dem schon viele Leute sitzen und weil sie auf ihr Essen warten, haben sie nichts anderes zu tun, als übellaunig und hämisch die Eintretenden zu beobachten. Unter diesen Blicken muss man in Sekundenschnelle nach freien Plätzen spähen und gleichzeitig in Blinzelkontakt mit dem Wirtspersonal treten. Macht dieses keine Anstalten, hat man selber zielstrebig einen Tisch anzusteuern, der die Grundansprüche an einen Wirtshaustisch erfüllt: nicht zu nah am Klo, nicht in Räumen, in denen sonst niemand sitzt, nicht neben der Tür und nicht unter dem Lautsprecher, schon gar nicht neben der Live-Musik, falls man aus Versehen in einen Thai-Jazz-Keller geraten ist. Es sollte nicht der Stammtisch und wenn möglich auch nicht der einzige Tisch in der Raummitte sein. Das sind ziemlich viele Dinge, die zu beachten sind und bis ich alle einigermaßen befolgt habe, bin ich erschöpft und hungrig und stehe im besten Falle samt Begleitung vor einem Juwel von einem leeren Tisch. Sofern er, wie meistens in bayerischen Wirtshäusern, an der Wand steht (wir haben hier im Süden sehr viel Wand), kommt die Frage, die mich endgültig zermürbt. Wer will auf die Bank und wer will auf den Stuhl? Ich weiß es nicht, nie. Will ich auf die Bank? Nein! Auf den Stuhl? Auch nicht! Ich kann mich nicht entscheiden und das Schlimme ist – es gibt auch keine Aussicht darauf, dass ich jemals eine logische Entscheidung herbei denken kann. Warum gibt es dazu keine Benimmregeln? Etwa: Männer lassen ihre Damen auf der Bank sitzen, damit diese ungeniert mit ihren Reifröcken rumkugeln können. Oder: Damen sollten immer auf Stühlen sitzen, weil sie dann nicht so unfein wippen wie auf einer Bank. Gibt es beide nicht. Bank, denke ich also, Bank ist gemütlich. Gleichzeitig aber: Stuhl! Stuhl ist der Klassiker in Sachen Sitzen. Hat man je von Nobelpreisträgern auf Kaffeehausbänken gehört? Nie! Die saßen immer auf Kaffeehausstühlen. So stehen ich und die Begleitung gebannt vor Bank und Stuhl und ringen mit uns, bis ich mit großem Kraftaufwand: „Bank“ sage. „Och, das wollte ich auch!“, sagt die dumme Begleitung sofort. In diesem Moment fällt mir, immer zu spät, die Lösung des Bank/Stuhl-Dilemmas ein. Der Fehler liegt nicht in den beiden Möglichkeiten, der Fehler liegt in der albernen Gewohnheit, sich gegenüber sitzen zu wollen. Nebeneinander sitzt es sich zwar nicht ganz so romantisch, es fühlt sich aber technisch auch tadellos an. Man sitzt Schulter an Schulter auf der Bank oder auf zwei Stühlen und guckt sich zusammen das Essen an, als wäre es eine Fernsehsendung, die man zwar nicht wegschalten kann, aber wegessen.

Text: max-scharnigg - Illustrationen: Katharina Bitzl

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