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„Muss ich da irgendwas vorwählen?“

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Wir werden in Sachen Alltagselektronik immer bequemer. Stehen im Hotel vor einem Fernsehgerät und fragen künstlich genervt: „Muss ich da was drücken?“ Stehen mit wedelnden Händen vor einer Zimmerpalme und fragen müde: „Muss ich da irgendwo meine Hand vorhalten, damit’s was macht?“ Und wenn auf der Flughafentoilette kein Wasser aus der Wand kommt, obwohl wir gewedelt und gedrückt haben, ist das Ding eben Schrott. Die blöden Touchscreen-Schalter und Infrarotsensoren haben uns kaputt gemacht, genau wie teures Katzenfutter die verdammten Katzen kaputt macht. Wir können nicht mehr ohne das Zeug und werden dadurch immer einfältiger. Ich zum Beispiel kaufe manche Geräte nur noch deswegen, weil sie in der Lage sind, sich drahtlos mit meinem Computer zu synchronisieren. Egal, was es ist, Pfeifendeckel, Käseglocke, Kaiserschnitt – wenn es sich nach dem Auspacken mit meinem Computer synchronisiert, muss ich es haben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Früher herrschte allgemein noch mehr Hochachtung vor Kleinelektro. Es gab etwa jahrzehntelang eine kollektive Ehrfurcht vor der Programmierung des Videogerätes, manche Familien mussten sogar Spezialjugendliche für diesen Job anheuern. Wenn man damals als Bundespräsident in einer Talksshow sagte, dass man zu dumm wäre, den Videorekorder zu programmieren, brachte das hohe Sympathiewerte ein. Horst Köhler wäre zwar heute noch ein ausgezeichneter Kandidat für den Videorekorder-Satz, aber er hütet sich, dergleichen zu erzählen – weil dann gleich noch elf Menschen mehr die Piratenpartei wählen würden. Unter Pflichteinsatz des Wortes „Kauderwelsch“ wurde einst auch stolz erklärt, dass man eine Bedienungsanleitung nicht kapiert. Dieses Problem stellt sich heute nicht mehr, da die Geräte überwiegend nur einen einzigen Knopf haben und die Anleitung dafür im Internet steht, wo sie niemand vorher liest. Deswegen dürfte das Nichtverstehen von Bedienungsanleitungen bald genauso ausgestorben sein, wie alle Tiere und Pflanzen. Die gutbürgerliche Fassade des Nixkapierens ist auch saumäßig zerbröckelt. Heute bedient man lieber intuitiv, als zuzugeben, dass man sich nicht auskennt. Statt einer Kluft zwischen Kenntnis und Nichtkenntnis, herrscht eine Grauzone des Irgendwie-Anschaltens. Wenn sich nichts tut bzw. nix tutet, gibt es Sätze, die das Nichtbeherrschen übertünchen: „Muss man da irgendwas vorwählen?“ sagt man zum Telefon, das nicht telefoniert. „Ist der Toner leer?“ zum Drucker, der nicht druckt. „Muss ich Cache leeren und Cookies löschen?“ ist die Universalfrage an einen lahmenden Computer. Wir können froh sein, dass die Maschinen bis jetzt noch nicht direkt antworten: „Nix vorwählen, Depp, wie wäre es mit Tastensperre entsichern?“ Wenn es mal soweit ist, ist eine genervte Roboterarmee nicht mehr fern, die uns dann – auf Knopfdruck – zermantscht.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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