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"Warst du schon auf der Wiesn?"

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Ich möchte kein Büroflur sein. Zumindest nicht in diesen zwei Wochen. Denn derzeit sind die Münchner Büroflure überdick tapeziert mit dieser Frage, genau wie die Bahnsteige und Raucherecken und ja, auch die Kreißsäle und Kranfahrerkabinen. Überall fragt ein Münchner einen anderen, ob er das „größte Volksfest der Welt“ (James Last) schon mit seiner Anwesenheit beglückt habe. Dabei steht die Frage meist gar nicht im Dienst einer Neugier. Die Antwort ist gehörig wurscht. Nein, wir Münchner fragen nur deswegen, weil wir uns in einem komischen Zustand befinden. Wir haben ein zweiwöchiges Weltereignis im Vorgarten. Die Menschheit schaut uns in den Bauchnabel. Es sind Gäste da, Herrgott! Wir müssen doch so tun, als würde uns das interessieren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Theresienwiese liegt so günstig, dass man auch als Fahrradkurier tagelang nicht unbedingt daran vorbei muss. Stadtplaner und Hobbyastronauten nennen so etwas den blinden Fleck einer City. Ein Münchner also, der nicht direkt daneben wohnt, vergisst gelegentlich, dass gerade Weltereignis ist. Es spektakelt da so vor sich hin und man denkt nicht dran. Abends schlägt man das Plumeau auf und erschrickt: Herrje, den ganzen Tag nicht an die Wiesn gedacht, ja bin ich denn ein Depp? Sofort ruft man Bekannte an und fragt den Wiesn-Satz. Mit Glück erwischt man sie kalt: „Ach, Wiesn, habe ich ja ganz vergessen!“ Es wogt durch den Hörer eine Eisbachwelle der Selbstbezichtigung und stillen Scham. Extra für die nördlichen Stadtteile, wo man das Oktoberfest besonders leicht aus den Augen verliert, wurde der Zeppelin eingeführt, der als bedrohliches Zäpfchen dort herumbrummt. Diese fliegende Erinnerung an die Wiesn haben die Nordmünchner so verinnerlicht, dass sie in Tracht an der Theresienwiese auftauchten, als bei der Fußball-WM Zeppeline eingesetzt wurden. Fehlgeleitet vom Pawlowschen Zeppelinreflex! Weitere Merkhilfen sind die Fähnchen an den Straßenbahnen, die uns zuverlässig ans „German Beerfest“ (Immanuel Kant) ermahnen. Und für Pendler, die aus dem Speckgürtel anfahren und Fähnchen&Zeppelin übersehen, hat sich die Stadt besondere Hinweise ausgedacht. Über Nacht installieren Foodstylisten in S-Bahnen kunstvolle Kotzlachen und zerschmetterte Bierkrüge – dezente Anreize für die erste Wiesn-Frage des Tages.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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