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"Was denkst du gerade?"

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Ich finde, das was ich gerade denke, wird in seiner Bedeutung für die Weltöffentlichkeit überschätzt. In den seltensten Fällen jedenfalls denke ich etwas, das zum sofortigen Meißeln in Kalkstein geeignet wäre. Ich kann da aber nur für mich sprechen und nicht für Churchill oder Marcel Proust, die hatten vielleicht immer Premium-Gedanken. Oft hat mein Denken nicht mal mit der aktuellen Situation zu tun, sondern schippert in Unschärfe herum. Manchmal ist auch nur Pausenmusik in meinem Kopf, gespielt von der Dixie-Band aus der Knoff-Hoff-Show. Beim morgendlichen U-Bahnfahren zum Beispiel, denke ich nur Schnipsel wie: Hund in Terracottafarbe / Rolltreppe Trollreppe / Alte Menschen ungeil allgemein hey so darfste nich denken/ Selber Werbeplakat / alles teuer / Ulm /BettwärmeWettbärme… - ein fortlaufender Strudel eben. Wenn mich da einer von den alten Menschen auf der Rolltreppe fragen würde: "Was denken Sie gerade?" Dann müsste ich glatt zugeben: "Ich denke gerade, dass ich Rolltreppe fahre."

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die alten Leute fragen nie, es pieksen mit dieser Frage nur besinnliche Mädchen in lauschige Momente hinein. In Momente, in denen man nichts denkt außer: Ja. Nein. Oder: Schön. Damit kann man die Frage aber nicht beantworten. "Ich denke gerade Yeessss!" kann man nicht bringen. Denn es soll ja eine sehr innige Frage sein. Eine, die man stellen muss um von einer Ich und Du so nebeneinander-Situation auf eine Wir beide in toller Privatvertrautheit-Situation zu kommen. Das Seelische anzapfen. Nett gedacht, aber unmöglich. Denn wenn man mir diese Frage stellt, höre ich auf, das zu denken was ich gerade dachte und denke stattdessen: Menno, was sage ich jetzt? Es soll reflektiert und lieb und zukunftsweisend sein. In deutschen Fernsehfilmen sagt Jana Pallaske in diesen Momenten immer etwas sehr Unvorbereitetes, worüber alle Beteiligten prusten müssen. Derartiges fällt mir nie ein. Deswegen gehöre ich zu denen, die geneigt sind "Nichts." zu sagen. In dem Moment in dem ich "Nichts." antworte, finde ich es dumm. Wer geht gerne mit dem Vakuum in seinem Kopf hausieren? "Nichts." enttäuscht auch die Fragenden aus. Deswegen schiebe ich gekonnt unsouverän hinterher: "Ganz viel durcheinander." So ist es doch. Ich denke gleichzeitig alles und gar nichts. Ich bin wie einer von diesen großen Kaffeeautomaten, die ganz ruhig im Eck stehen, aber wenn man dann auf einen der vielen Knöpfe drückt, läuft unten sofort die Soße raus.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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