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Was mir das Herz bricht: Pumper, die nicht anpacken können

Illustration: Federico Delfrati

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Neulich war ich segeln, mit einer großen Gruppe ganz unterschiedlicher Leute. Recht willkürlich teilten wir uns auf Boote auf, ich landete auf einer kleinen Jolle mit einem Freund und einem mir bis dahin unbekannten Typ, nennen wir ihn Ben. Ben war von der Sorte Männer, die offensichtlich viel Zeit damit verbringen, ihren Körper zu pflegen und zu stählen: breite, aalglatte Brust, übermäßig definierter Sixpack, Arme, die bestimmt jeden Hemdsärmel sprengen, außerdem der ganze Körper gleichmäßig in sanftes Goldbraun getüncht. Ein Typ, bei dem man sich sofort denkt: „Boah, der muss super sportlich sein!“

Wir drei machten uns also auf, den See zu erobern – weil niemand von uns wirklich segeln konnte und plötzlich auch kein Lüftchen mehr wehte, fanden wir uns irgendwann zwar mitten auf dem See wieder, hatten aber keine Ahnung, wie wir zurück ans Ufer gelangen sollten. Also: Rudern. Ben erhob sich aus seiner Position (er lag, um möglichst viel gleichmäßige Sonnenstrahlen abzubekommen, rücklings auf dem Heck) und wankte unsicher in Richtung Mast. Allein wie dieser muskelbepackte, super-sportlich aussehende Kerl da so unbeholfen über das Boot zitterte, wäre schon einen eigenen Herzensbrecher wert. Aber als Ben dann versuchte, mit hilflosem Blick und unkoordiniertem Ziehen an beliebigen Seilen das Segel einzuholen, da war es um mich geschehen. Mein Herz machte leise Knack. Und es machte noch mal lauter Knack als Ben zwar zu paddeln begann, das aber mit dem Engagement eines Halbtoten und der Koordination eines Dreijährigen. 

Wenn Männer, die eigentlich wie der Inbegriff von Kraft und Sportlichkeit aussehen, sich bewegen wie Körperklause, dann möchte ich einfach leise seufzen. Wenn die Berge von Muskeln, die sich bei jeder Bewegung unter dem Shirt abzeichnen und Dynamik und Tatendrang verheißen, dieses Versprechen doch so gar nicht erfüllen können, muss ich mir ein mitleidiges „Och“ verkneifen. Denn die Probleme der Muskelmänner beginnen meist schon, wenn sie sich auf den Boden setzen wollen: Ungelenk fuchteln sie dann mit den aufgepumpten Armen um das Gleichgewicht zu halten und versuchen erfolglos, in die Hocke zu gehen. Meist ist es für diese Kerle die beste Lösung, den schweren Körper einfach aus mittlerer Höhe auf den Po plumpsen zu lassen – etwas anderes lassen die verkürzten Sehnen und dicken Muskeln einfach nicht zu.

Die Muskeln der Pumper sind etwas Künstliches

All das würde niemandem auffallen, wenn diese Körperklausigkeit nicht im krassen Gegensatz zum sportlichen Aussehen der Pumper stehen würde. Das Problem: Sie haben zwar die Muskeln in mühsamer Arbeit symmetrisch aufgebaut und mit Proteinshakes gepflegt, wissen aber außerhalb des Freihantelbereichs nicht, wie man sie einsetzen kann. Alle Hoffnungen, die die gestählten Körper wecken, werden zwangsläufig enttäuscht. Die Muskeln der Pumper sind etwas Künstliches – wie schöne Dinge in einem Museum, die man zwar betrachten darf, aber nicht anfassen. Sie sind zwar da, aber können nicht richtig eingesetzt werden. Sie scheinen nur einen einzigen Zweck zu haben: den Pumpern Selbstbewusstsein zu geben. Das funktioniert auch – bis die Muskel-Luftschlösser beim ersten Pieks der Realität zerplatzen. Dann wird deutlich, dass der Muskelmann eine Illusion ist und seine Muskeln vielleicht nur Unsicherheiten an anderer Stelle kompensieren.

Ben ist kein Einzelfall. Auch der Exfreund meiner besten Freundin war groß, extrem durchtrainiert, mit breiten Schultern. Phasenweise ernährte er sich hauptsächlich von Magerquark und Hühnchen und bekam Angstzustände, wenn er einen Tag nicht zum Sport gehen konnte. Deshalb machte ich mir auch keine Sorgen, als meine Freundin aus dem fünften Stock einer Altbauwohnung ohne Aufzug ausziehen musste – ich ging davon aus, dass wir einen „Joker“ in Form ihres Freundes hatten. Am Tag des Umzugs kam ich also recht entspannt bei der Wohnung meiner Freundin an. Zwei Kisten hatten sie und ihr Freund schon im Auto verstaut – er saß zusammengekauert daneben, die aufgepumpten Arme vor der breiten Brust verschränkt. „Ich kann echt keine schweren Sachen mehr tragen – mein Knie packt das nicht!“, wimmerte er. Wie der Umzug weiter verlief, dürfte klar sein.

Das Gute ist: Die Welt kommt auch ohne (offensichtlich) starke Männer aus. Auf dem Boot habe ich einfach irgendwann für Ben das Paddeln übernommen. Und auch den Umzug haben wir zu zweit hinbekommen. Aber mein Herz, das bricht trotzdem immer wieder, wenn ich einen Muskelmann sehe, der nicht weiß, wohin mit seiner Kraft.

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