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Was mir das Herz bricht: Teenager, die mit ihren Eltern den Urlaub verbringen müssen

Illustration: Katharina Bitzl

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Rafael, vielleicht 14, hatte keinen Bock mehr. Die Badehose war weg, hatte offenbar niemand eingepackt. Er nicht, die Eltern nicht.  Seine Mutter, weiter manisch in der Strandtasche wühlend: „Du bist alt genug, da kannste inzwischen echt mal selbst dran denken!“

Rafael stand auf, ging schweigend zum Boot, das seine Eltern für den Tag gemietet hatten. Dass Rafael Rafael heißt, erfuhr ich als Handtuchnachbar aufgrund der Rufe der Eltern: „Roffaääl! Roffaäääl! Jetzt sei’ mal ned so! Rofaaääl! Was machst du?“ Rafael antwortete nur knapp, stimmbrüchig, aber hochdramatisch: „Ich fahr’ jetzt einfach auf den See raus!“ Dann paddelte er Richtung Horizont, irgendwohin. Und mir brach das Herz.

Urlaub wird gerne mit Freiheit verbunden. Für eine bemitleidenswerte Altersgruppe bedeutet sie das genaue Gegenteil: Junge Teenager, noch zu behütet für eine Sturmfreiphase daheim oder eine Reise auf eigene Faust. Aber eben auch zu alt, um eine Paddelbootsfahrt mit den Eltern für ein hammercooles Abenteuer zu halten. Wie sie versuchen, sich unter der schützenden Hand der Eltern in irgendeiner Weise öffentlich zu behaupten, ist mehr als traurig.

Die Eltern bestimmen das Urlaubsziel, die Ausflüge, die Badetaschen-Packordnung. Ihre Kinder, früher noch begeisterte Sandburgenbauer oder Mini-Club-Teilnehmer, lassen sich plötzlich nur noch mitschleifen. Und egal, wie schön die Landschaft oder toll die Ausflüge sind: so richtig gut finden dürfen sie das alles gar nicht. Städte, Kirchen, Museen, Strände, Paddelboote – sie sind einfach nur abgrundtief fad. Die Rebellion ohne Grund aka Pubertät kennt keinen Urlaub, auch und erst Recht nicht im Urlaub.

Und das ist nicht nur hormonbedingt nachvollziehbar, sondern auch ganz ohne Hihi-Pubertier-Bashing sehr verständlich. Jedes Zeltlager auf dem nächsten Acker macht in diesem Alter mehr Spaß als ein durchprogrammierter Urlaub mit den Eltern. Nur: Ihre Rebellion, der man als Beistehender durchaus Sympathie entgegenbringt, ist eben auch absolut sinnlos. Arme Wesen!

Trotzdem kämpfen diese jungen Menschen mit allen Mitteln für ein bisschen Würde. Den Widerstand aufzugeben kommt für sie nicht in Frage, also versuchen sie den Spagat: Ja, ich bin mit meinen Eltern hier. Ja, ich schlafe auf dem Hotelzimmer-Klappsofa zwei Meter entfernt von ihnen. Ja, ich muss jeden Morgen mit ihnen aufstehen. Ja, ich habe heute drei Stunden mit ihnen in der Schlange vor diesem gottverdammten Dom gewartet. Aber nein, mein Stolz ist nicht gebrochen. Ich bin hier durchaus selbstständig unterwegs und mit Vater und Mutter will ich eigentlich nichts tun haben.

Das Handtuch breiten sie demonstrativ vier Meter entfernt aus, verwenden trotz oder gerade wegen elterlicher Aufforderung keine Sonnencreme, schweigen sich in ihre Bücher, Kopfhörer, Smartphones. Oder sie schnorcheln stundelang umher, weil unter Wasser wenigstens Ruhe ist und die Fische keinen Müll reden.

Wenn sie sehr viel Glück haben, treffen sie Leidensgenossen und können sich in kurzen Momenten der Freiheit beim Beachvolleyball abreagieren. Oder sie fahren eben einfach raus auf den See.

Rafael kam übrigens nach einer Viertelstunde zurück. Zur Versöhnung bekam er ein Käsebrot von seiner Mutter. Er aß es, als würde es ihm nicht schmecken.

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