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Die Fernbeziehungskolumne. Heute: Ich mache jetzt Schluss

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Tja Genau, richtig gelesen. Ich mache Schluss. Jetzt, hier und heute. Mit dieser Kolumne, nicht mit Kathrin . Freundin und Literaturkritikerin Marie wird die von ihr geforderte Dramatik in dieser Kolumne nicht mehr bekommen. Basta.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tschüss. Ich mach jetzt Schluss, ich muss jetzt weg. Zehnmal habe ich jetzt etwas über mich und Kathrin und unsere Fernbeziehung geschrieben. Das heißt, dass ich jetzt seit zehn Wochen alleine hier in Köln sitze, dass Kathrin seit zehn Wochen alleine in Kufstein sitzt. Dazwischen sitzen viele Vögel auf der Telefonleitung – dem Einzigen, das uns momentan verbindet. Wenn sie so doof waren und nicht nach Italien oder Afrika geflogen sind. Zehn Wochen sind lang: 1. Woche: Mama fragt: „Wie machst das denn jetzt? Ich meine, falls du ne andere nette Frau kennen lernst, kannst du das ja nicht in der Kolumne schreiben, oder? Die Kathrin liest das ja auch.“ 2. Woche: Ohne Dispo keine Disko. 3. Woche: Die neuen Nachbarn haben sehr viel und sehr laut Sex. Ich nicht. Weder laut noch viel. 4. Woche: Muttern hat Geburtstag. Ein guter Grund, Kathrin zu besuchen. 5. Woche: Der Spiegel im Gang teilt mir mit, was der Spiegel im Bad nicht schafft, weil es da so dunkel ist: Es wäre wieder Zeit, sich zu rasieren. Nein, ehrlicher: sich mal wieder die Fusseln aus dem Gesicht zu schaben. Wird nach zwei Trotz-Tagen auch gemacht. 6. Woche: Meine Magisterarbeit ist angemeldet. Der Plan: Ganz schnell schreiben, ganz schnell abgeben. Ganz schnell noch die Prüfungen machen. Dann einen LKW mieten und den Lebensmittelpunkt näher an die österreichische Grenze verschieben. Und, ach ja: Natürlich auch ganz gut sein. 7. Woche: Kathrins Einweihungsparty wird von der Polizei aufgelöst. Mitbewohner Dominic, der romantische Britpop-DJ, verkündet stolz: „Das gab es in Kufstein noch nie!“ 8. Woche: Die PdFBZG, die „Partei der Fernbeziehungs-Geschädigten“ wird ins Bundeswahlregister eingetragen. Ihr Führer M. Baumstieger liefert sich bei Christiansen ein hartes Duell mit Bahnchef Mehdorn, von dem er freie Fahrt für Langstrecken-Liebhaber fordert. Baumstieger treibt Mehdorn verbal in die Ecke. Kurz darauf schmeißt Christiansen Baumstieger raus. Die blöde Kuh behauptet, er habe vor der Sendung den Salzstreuer an Mehdorns Tisch aufgeschraubt, so dass die teuren Häppchen verdorben waren, und Verkehrsminister Tiefensee Juckpulver in den Kakao geschüttet. An der Basis rumort es. 9. Woche: Ich! habe! jetzt!!! schon! ein! Weihnachtsgeschenk! für! Kathrin! 10. Woche: Viel Dispo, viel Disko: Der Ex-Vermieter hat endlich die Kaution herausgerückt. Außerdem: Schokoladenvorrat wird angelegt. Kathrin seit drei Wochen nicht gesehen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Seit zehn Wochen habe ich auch den direkten Vergleich zwischen Kathrin, meiner Lebensabschnitts-Partnerin, und Thomas, meinem Wohnbiographie-Abschnittspartner. Worin Thomas besser ist als Kathrin: - Kochen, Putzen, Waschen, - Bier trinken, - Müll runter tragen, - Österreichisch, - im Backgammon verlieren, ohne das Spielbrett anschließend durch den Raum zu schmeißen. Worin Kathrin besser ist als Thomas: - Hunde nachmachen, - Essen gehen, - Taxis spendieren, - meine Musik mögen, - soweit ich das beurteilen kann und es mich überhaupt interessiert: die Sache mit dem Sex, - Kathrin sein. Ich will ja nicht rumjammern. Unsere Geschichte ist keine besondere, viele hätten sie erzählen können. Eine Fernbeziehung scheint – der Leserpost nach zu urteilen – mittlerweile jeder zweite zu haben. Wer keine hat, der zählt wohl bald schon zu den Modernisierungs-Verlierern, weil Globalisierung nicht begriffen und überhaupt so was von altmodisch. Ich wäre gerne so ein Modernisierungs-Verlierer. Dann würde ich beim Internet-Telefonieren nicht immer versuchen, Kathrin anzulangen, und deppert den Bildschirm streichen. Aber das ist ja nicht mal das Schlimmste. Das Schlimmste ist auch nicht, dass jedes so automatisch kommende „Wir machen/haben/werden“ jetzt durch ein „Ich habe/mache/werde“ ersetzt werden muss und die Schere im Kopf noch nicht so funktioniert, wie sie soll. Das Schlimmste sind nicht Mitfahrzentralen-Mitfahrer, die sechs Stunden von ihrer beknackten Katze erzählen. Das Schlimmste ist nicht, dass Kathrin einen gewissen Diego von Werder Bremen „so schön“ findet, und dass „der auch so toll schießen kann…“. Das Schlimmste sind nicht Bahnfahrten für 56 Euro, dafür aber mit ohne Sitzplatz. Das Schlimmste ist nicht, dass jetzt auf die Mitbewohner acht gegeben werden muss: nicht mehr nackig durch die Wohnung hüpfen, im Bett den Mund zugehalten bekommen. Dass Schlimmste ist nicht, dass von 60 Minuten Kommunikation 10 fürs Weinen draufgehen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was das Schlimmste ist: Abends, auf langweiligen Partys, nachmittags, wenn es im Park zu kalt wird, und immer, immer, immer, wenn man gerade Lust drauf hat: Man kann nicht einfach nach Hause gehen, weil man ja eh zu zweit ist, weil einem sowieso etwas einfällt, das man machen könnte. Reden, streiten, die Wohnung verwüsten oder aufräumen. Kitzelterror mit fiesem Schwitzkasten beenden. Geld verprassen, die Gäste vom Wettbüro gegenüber observieren, blöde Fotos schießen. Ins Bett gehen, das „Komm tanz mit mir – Nein, ich will nicht“-Spiel spielen oder zusammen ausdauernd einfach gar nichts machen. Das geht alles nicht. Denn Kathrin ist nicht da. So einfach ist das. So blöd ist das.

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