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Die Fernbeziehungskolumne. Heute: Was geht und was nicht geht

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Es ist ja so Man kommt auf komische Dinge, wenn man alleine ist. Das komischste Ding: Ich gehe jetzt Joggen. Besser gesagt, ich war am Sonntag Joggen. Seitdem habe ich Muskelkater. Noch vor einer Woche gehörte ich zu jener glücklichen Sorte Menschen, die sich am Sonntag beim Pärchen-Spaziergang über die Großstadt-Sportler lustig machen. Dieses Mal war ich es, über den gelacht wurde: Verschwitzt, mit hochrotem Kopf nach Luft japsend, drehte ich lächerlich gekleidet meine Runden durch den Volksgarten. Verfluchte alles, was da Händchen haltend am Wegrande stand. Überlegte, ob ich das erste Pärchen, das laut lacht, gleich mit Beton an den Füßen im See versenke – bis dass der Tod euch scheidet – oder vorher erst ein paar Mal mit dem Tretboot überfahre. Aber was soll ich machen. Nur Biertrinken und Lernen geht am Wochenende auch nicht. Dazu kommt, dass ich zurzeit schlecht im Bett bin. Mein Wecker ist weg Seit Kathrin nicht mehr da ist, verschlafe ich immer und ständig. Wache auf, schalte die Handy-Weckfunktion aus, schlafe weiter. Früher war es anders: Wenn Kathrin in die Arbeit gegangen ist, hat sie stets sehr viel Lärm und mir ganz manchmal auch einen Kaffee gemacht. Um den zu trinken und um eine lange Schnur mit einer Tasche daran aus dem Fenster zu halten, musste ich aufstehen. In die Tasche hat mir Kathrin dann meine Zeitung gesteckt, und die alte Lok Baumstieger stand wie von selbst in den Gleisen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Single im Doppel: Berechne den Flächeninhalt! Platzangst Meine Matratze misst 1,40 mal 2,00 Meter, das sind 2,8 Quadratmeter. Nutzen tue ich davon höchstens 0,35 mal 1,88 – also 0,658 Quadratmeter. Wenn ich morgens ganz ins rechte Matratzeneck an die Wand gequetscht aufwache, merke ich: Ich muss mich erst noch daran gewöhnen, dass die „Ich brauche eben Platz zum Schlafen“-Kathrin gar nicht mehr neben mir liegt. Und die restlichen 2, 142 Quadratmeter zu meiner freien Verfügung stehen. Gut im Bett ist hingegen: Ich wache nachts nicht mehr auf. Niemand klaut mir meine Decke, niemand rammt mir sein Knie in dem Bauch, niemand verteilt seine Haare in meinem Hals, meiner Nasen, meinen Ohren. Aber das Allerbeste ist: Mit Kathrin sind ihre immerkalten Füße nach Kufstein gegangen. Um diese harten Eisklumpen abends nicht mehr zwischen die Oberschenkel geklemmt zu bekommen, wäre ich früher sogar freiwillig Joggen gegangen. Da die Winterabende jetzt lang und einsam sind, habe ich meine Platten neu geordnet. Nach a) System Farbe b) System Genre c) System Alphabet d) System Chaos habe ich jetzt ein neues Ordnungsmuster entdeckt: System Fernbeziehungs-taugliche Musik rechts, Fernbeziehungs-untaugliche links. Ganz links: Alles aus Lang-Weilheim. Notwist, Console, Ms. John Soda und der ganze Kram sind viel zu traurig, zurzeit. Vielleicht sollte ich mal wieder eine Kassette machen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Guten rechts, die Bösen links. Vorschlag A-Seite: Thema Selbstmitleid ein beliebiger Song von Element of Crime Franz Ferdinand: “I could have it so much better” Ton Steine Scherben: „Komm, schlaf bei mir” Gorillaz: „November has come“ Superpunk: „Allein in eisigen Tiefen” Vorschlag B-Seite: Thema Zuversicht Superpunk: „Ich weigere mich, aufzugeben“ Jeans Team: „Baby, mich wirst du so leicht nicht vergessen“ Fotos: „Komm zurück“ Rocket Freudenthal: „Trinker müssen trinken“ Tocotronic: „Ich werde nie mehr alleine sein“ Doch leider sieht das typische Telefonat momentan eher nach A-Seite aus. Kathrin: „…och Mensch! Immer noch zwei Wochen! Komm her, zu mir. Ich will dich jetzt sehen!“ Ich: „Hm. Geht grad schlecht. Weißt du doch.“ Kathrin: „Ja. Menno. Menno-ho-hooo! Es wäre so schön, wenn dein Zimmer einfach zu mir nach Kufstein fahren könnte. Dann wärst du da bei mir. Hättest aber deinen Schreibtisch und deine Bücher und was weiß ich noch alles da. Und müsstest nicht in deinem doofen Köln sein.“ Ich: „Das wäre gar nicht gut. Dann wäre ja ein Loch in meinem Haus.“ Kathrin: „Ja. Nein...“ Kathrins Stimme wird ähnlich bröselig wie die windige Internet-Telefonverbindung Kathrin: „…und, und, und – oh nee, ich wollt doch gar nicht weinen. Hab ich mir fest vorgenommen.“ Ich: „Klappt wohl nicht so ganz…“ Kathrin: „Nee, klappt gar nicht. Und jetzt schmeckt das auch noch so salzig. Fuck!“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und wo ist mein Herzblatt? Ach Baby, wenn du wüsstest, wie salzig ich Sonntag nach dem Joggen geschmeckt habe. Hättest mir freiwillig drei Viertel der Matratze überlassen und deine kalten Füße lieber bei dir behalten. Dass ich da nicht früher drauf gekommen bin…

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