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Die Fernbeziehungskolumne. Heute: …wenn ich dann noch traurig bin, dann trink ich noch`n Kölsch…

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Was in Köln so los ist Kurz gesagt: wenig. Alle Renovierungsarbeiten sind abgeschlossen, es werden Hausarbeiten geschrieben. Nicht mehr renovieren müssen ist langweilig, hat aber den Vorteil, dass Kathrin weniger um mein Leben fürchten muss. Sie ist eine Spezialistin darin, kurz vor dem Aufwachen zu träumen, dass ich a) beim Anschließen von Lampen bei eingeschalteter Sicherung durch einen Stromschlag sterbe b) beim Hantieren mit Stichsägen meine linke Hand abschneide und verblute c) beim nächtlichen Fahrradfahren ohne Licht von einem LKW zermalmt werde. Wenn Kathrin dann aufwacht, ist sie stinksauer auf mich. Obwohl ich jedes Mal noch lebe. Blöderweise hat der Schornsteinfeger, der an unserem letzten gemeinsamen Tag hier in Köln meine Kohleöfen inspiziert hat, zu einem halbstündigen Monolog über Schornsteinbrände und Kohlenmonoxid-Vergiftungen im Schlafe angehoben. In Kathrins Träumen kamen diese beiden interessanten Varianten meines Dahinscheidens allerdings noch nicht vor.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Fachlektüre Was in Kufstein so los ist Kurz gesagt: wenig. Die meisten Studenten sind noch in den Semesterferien, stattdessen gibt es gerade viele graue Rentner mit Spazierstöcken, die von ihren Reisebussen in die Sachertorten-Cafés strömen. Dazwischen sitzen sie auf dem Marktplatz, und Kathrin bekommt manchmal Angst neben all diesen Omas und Opas. Kathrin hat auch noch eine neue Mitbewohnerin bekommen, Evelyn heißt die. Über sie gibt es nur zu berichten, dass sie bei einem kurzen Aufenthalt in der Wohnung über den Vermieter geschimpft hat, während sie auf den romantischen Britpop-DJ und die Vormieter schimpfend die Küche putzte. Mit Waschbenzin. Mitbewohner Nummer Zwei, eben der Britpop-Dominic, kommt auch bald, um eine Prüfung nachzuschreiben. Das typische Telefonat Gestaltet sich derzeit schwierig. Da Kathrin noch kein Festnetz hat, erwischen wir uns meist nur zwischen Tür und Angel. Besser gesagt: Zwischen Uni-Vorbereitungskurs und Kathrins Wohnung, auf dem Kufsteiner Marktplatz. Allen Vorurteilen als „ruhiges Nest“ zum Trotz, erweist sich Kufstein dabei als eine sehr laute Stadt: Ich: „Hi, ich bins!“ Kathrin: „Hi!“ Eine Kirchenglocke (sehr laut): „Dong, dong. Ding!“ Ich: „Was?“ Kathrin: „Hi! Ich habe nur „Hi!“ gesagt.“ Ich: „Ach so.“ Kathrin: „Wie …“ Ein gar schrecklicher Lärm erhebt sich, wagnerische Untergangs-Szenarien klingen aus dem Telefon. Kathrin (schreiend): Das ist die Heldenorgel! Heldenorgel, so ein Freiluft-Dingens! Die spielt hier jeden Abend! Ich ruf später noch mal an!“

Ruf die Heldenorgel an! Ansonsten Ansonsten sitze ich in meiner Wohnung und bin ab und zu traurig. Dann mache ich solche Sachen: Alleine in die Bar um die Ecke gehen. Dort sitze ich dann am Tresen und trinke Kölsch, das macht so schön Kopfweh. Hinter mir spielen die Leute Bingo, mir gegenüber hängen fünf Wackel-Dackel, die mich aus ihren Dackel-Augen anschauen und jede Sorge verständnisvoll wegnicken. Intuitives emotionales Verständnis von Tieren, sozusagen. Nicht in die Bar, sondern spazieren gehen. Um Leuten, die keine Vorhänge haben, auf den Abendbrotteller zu schauen, Kastanien zu sammeln, sie in parkende Cabrios zu werfen und dabei seltsame Namen von Kölner Friseursalons zu sammeln. Wenn es ganz hart auf hart kommt, lande ich im Kiosk in unserer alten Straße. Um dort den netten Verkäufer in lange Gespräche zu verwickeln, er kann ja nicht weglaufen. Beim Duschen Kathrins Shampoo benutzen. Dann rieche ich so gut nach ihr. Hausarbeit schreiben. Dabei werde ich noch trauriger, wenn ich sehen muss, wie gemein die Briten im 19. Jahrhundert zu den armen Persern waren. Beschließen, weniger zu rauchen und eine Zigarettenpackung für mehrere Tage einteilen. Und dann natürlich doch alle an einem Tag rauchen.

Auch die Blumen lassen den Kopf hängen. Was sich ändert Bald werde ich nicht mehr so oft traurig sein. Denn wenn ich beim Abendessen jemanden mit vollem Mund Geschichten erzählen kann, geht es mir schon viel besser. In ein paar Tagen kommt mein neuer Mitbewohner. Es wird ein Junge und er ist – muss Schicksal sein – ein Österreicher. Schon als mir Thomas durch das Telefon seinen süßen Wiener Honig ins Ohr träufelte, konnte er das Zimmer im Prinzip haben. Als er live auch noch nett war und als einziger Wohnungs-Besichtiger fand, dass das Wohnzimmer schon so okay ist und keine Tapete mehr auf den Putz muss, erst recht. Durch das routinemäßige „google deinen Mitbewohner“ ließ sich nur herausfinden, dass Thomas einen Namensvetter hat, der die österreichische Nachwuchshoffnung in Eishockey und Inlinehockey ist. Dafür trägt der echte Thomas echte Cowboystiefel. So habe ich jetzt eine Geisel. Von Österreich, für Kathrin. Weil sie sich angesammelt haben, wieder ein paar Zahlen: 378.492 Mein aktueller Tetris-Highscore. Sogar nicht beim Telefonieren aufgestellt. 1420 Gramm Schokolade und Pralinen hat Kathrins Mama ihrer Tochter gekauft. Bedenklich. 1000 Kilo Koks habe ich mir gerade gekauft. Zum Heizen. Nicht zum Schnupfen. 86 Euro habe ich seit Kathrin weg ist schon für Platten ausgegeben. 6 Bücher habe ich schon gelesen, seit Kathrin weg ist. 3 Mal Schlafen noch, dann fahre ich Kathrin besuchen. 1 ganze Woche lang.

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