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Die Hochzeitskolumne. Heute: Sitzordnung. Und wer kommt überhaupt?

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Vor ein paar Wochen war zwischen Johannes und mir ein verbal ausgetragener Kleinkrieg um die Gästeliste ausgebrochen. Angesichts eines drohenden Bankrotts versuchten wir, uns gegenseitig ein paar Gäste madig zu machen. („Den hast du doch seit fünf Jahren nicht mehr gesehen!“; „Wer is´n das überhaupt?“); nicht etwa aus Boshaftigkeit oder mangelnder Wertschätzung, sondern lediglich aus dem diffusen Gefühl heraus, dass die Gästeliste aus dem Ruder zu laufen drohte. Aus dem gegenseitigen Wegrationalisieren wurde dann aber doch nichts. Denn wen man gern dabeihaben will, den sollte man unbedingt einladen. Und wer diese Regel für sich selbst in Anspruch nimmt, der muss sie natürlich für den anderen ebenso gelten lassen, das mussten wir beide kleinlaut zugeben. Wir haben die Einladungen Ende April verschickt, inklusive der Bitte, uns bis Ende Mai Bescheid zu geben, ob wir mit der jeweiligen Anwesenheit rechnen dürfen oder nicht. Von 130 eingeladenen Gästen haben sich bis jetzt etwa 20 zurückgemeldet. Der erste war, einen Tag nachdem ich die Einladungen zur Post gebracht hatte, Onkel Volker, einer derjenigen Gäste, von denen ich mir heimlich gewünscht hatte, dass sie rein zufällig verhindert sein könnten. Kur. Fortbildung. Nordic Walking im Allgäu. So was in der Art. Wäre zu schön gewesen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Aus dem recht trägen Rücklauf zu schließen, dass wir nur ein sehr kleines Fest feiern werden, wäre allerdings falsch, glaube ich. Bei den meisten Gästen geht es nach dem Prinzip, nach dem sich auch Eltern, deren Kinder eine lange Autofahrt machen, eigentlich keine Sorgen machen müssten, es aber trotzdem tun: Keine Nachrichten sind gute Nachrichten. Keine Nachricht heißt also: „Ich hatte keinen tödlichen Autounfall“, beziehungsweise: „Ich komme“. Das mit dem Kommen oder Nichtkommen ist deshalb so wichtig, weil ich mich dieser Tage mit einer der komplizierten, Leistungs-Denksport verlangenden Aufgabe der Hochzeitsplanung zugewandt habe, bei der neben mathematischen Fähigkeiten auch psychologisches und soziologisches Gespür gefragt ist: Die Sitzordnung. Gäste sind ja sehr unterschiedlich. Es gibt solche, die würden neben Onkel Volker einen prächtigen Abend verleben. Und es gibt solche wie zum Beispiel Johannes´ Schwester. Johannes´ Schwester wäre auch dann unzufrieden und beleidigt, wenn man sie neben, sagen wir, Gunter Sachs platzieren würde. Irgendwann würde sie plötzlich mit anklagendem Blick auf der Tanzfläche stehen, Johannes auf die Schulter tippen und sagen: „Gunter redet den ganzen Abend über Fotokunst der Sechziger Jahre, Andy Warhol und warum das mit Brigitte Bardot auseinander ging. Mir ist langweilig.“ Ja, ich bin ganz sicher, so würde es laufen. Grundsätzlich bin ich nicht für allzu übertriebenes Durchmischen der Hochzeitsgesellschaft. Warum trennen, was sich gut versteht? Zumindest im Groben werde ich Grüppchenbildung forcieren und Verwandte und Freunde in zwei verschiedenen Lagern belassen. Meine Freundin Nina war neulich auf einer Adligen-Hochzeit in Mecklenburg-Vorpommern eingeladen. Dort gab es selbstverständlich das Tischherr-Tischdame-Prinzip. Johannes´ Familie, obschon nicht adlig, ist auch ein großer Anhänger des Tischherr-Tischdame-Prinzips, was dazu geführt hat, dass ich in den letzten acht Jahren diverse Abende im Hamburger Rotary Club und Anglo-German Club neben grauhaarigen Männern in Uniform verbracht habe. Diese tranken viel harten Alkohol und unterrichteten mich wahlweise in Familiengeschichte oder schwärmten von der wahren Kameradschaft in schlagenden Verbindungen. Deshalb konnte ich Ninas Kummer nachvollziehen. Neben ihr saß ein feister Adliger, mit dem sie noch vor der Vorspeise in Streit geriet, während sie mit anschauen musste, wie ihr Lebensabschnittsgefährte ein paar Tische weiter heiter lachend permanent allen Leuten am Tisch zuprostete. Nein, so weit muss es nicht kommen. Wer wirklich Lust darauf hat, Onkel Volker näher kennen zu lernen, kann das immer noch später wahlweise am Dessertbuffet, auf der Tanzfläche, beim Schnapstrinken oder in der Raucherecke tun.

Text: theresa-selig - Illustration: Katharina Bitzl

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