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Hashtag Heimat

Foto: coralie/photocase.de

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Drei Mädels in bunten Dirndln fläzen auf einer Holzbank, blicken den  roten Herzluftballons über ihren Köpfen nach. Stattliche Tannen rahmen ihren Ausblick auf die Bergketten und das Tal, sattblauer Himmel, Filter sei Dank. Erst der Hashtag #bayerischerwald erinnert: Ich zappe nicht durch Omas Lieblingssender, das hier ist Instagram. Öffne ich die App, lande ich in Niederbayern, im #woid, #dahoam, wo die #heimatliebe pulsiert, es morgens #weissbier zu #weisswirscht und #brezn gibt.

Auf Instagram inszenieren meine Freunde stolz ihre Heimat. Und das in unserer globalisierten Welt. Sie bummeln monatelang durch Sri Lanka, fördern interkulturelle Zusammenarbeit in Kenia, studieren Ethnologie in Barcelona, fliegen für Microsoft in die Vereinigten Staaten. Sie leben Freiheit und streben nach Gleichheit. Doch die Brüderlichkeit bleibt auf der Strecke, wenn sich jeder ständig selbstoptimiert und von einer Möglichkeit zur nächsten hangelt. Junge Menschen suchen deshalb nach Zugehörigkeit. Und finden sie dort, wo sie aufgewachsen sind.

 „Mit ihren heimat- und traditionsverbundenen Posts treten Nutzer einem sozialen Gefüge bei, werden Teil einer Gemeinschaft“, sagt Jan-Hinrik Schmidt, Soziologe am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg. Dafür eigne sich die Foto-App am besten. Laut Schmidt schaffen sich junge Menschen derzeit auf Instagram ihre eigene Plattform für Privates. Schnell entsteht so ein Trend. „Einige Menschen fühlen Heimatverbundenheit, drücken sie aber zunächst nicht aus. Dann sehen sie Beiträge von anderen und merken: sie sind mit ihrem Gefühl nicht alleine. Der Schneeballeffekt beginnt“, erklärt Schmidt.

Vor allem mehr und mehr heimatverbundene Naturfotografie verzeichnet Instagram in ganz Deutschland. „Viele junge Nutzer zeigen ihre Lieblingsplätze aus der Heimat. Das stößt in der weltweiten Community auf großen Anklang“, so Mareike Bruns, Community Managerin bei Instagram, „Sie zeigen, dass man nicht in die Ferne reisen muss, um schöne Landschaften zu entdecken: Regionen wie die Sächsische Schweiz bieten unter dem Hashtag roamsaxony Szenen wie aus dem Yosemite Park.“

 

In Bayern ist der Heimattrend auf Instagram besonders stark. Jeder sammelt Pilze, wandert in den heimischen Bergen, die Ambitionierten ersetzen Funktionsjacken durch Dirndl und Lederhosen. Und der Kommerz zieht nach. Marken wie „Vogel.Wuid“ und „Bavarian Couture“  produzieren Snapbacks und Pullover mit den Aufschriften #lausbua oder #lausdeandl und fotografieren ihre Models in dunklen Nadelbaumwäldern. Die Fotos teilen sie – natürlich – auf Instagram.

Auf den ersten Blick scheint der Trend reaktionär und zurückgeblieben. Schließlich nutzt auch die Identitäre Bewegung Heimatgefühle, um Anhänger für ihre völkischen Ideen zu gewinnen. Home ist doch, wo das heart ist – und sollte das in einer offenen Welt nicht überall sein?

 

Laut Jan-Hinrik Schmidt schließen sich die Teilnahme an der Globalisierung und Heimatverbundenheit nicht zwingend aus:  „Zwar assoziieren wir mit Heimat meistens etwas Rückständiges, doch kann auch das Gegenteil der Fall sein“, sagt der Soziologe, „Viele erkennen den Wert ihrer Heimat gerade durch ihre vielen Reisen und neuen Bekanntschaften. Sie fangen an, ihre Wurzeln zu pflegen und teilen Impressionen ihrer Herkunft mit Freunden in der ganzen Welt“.

Nicht alle Woidler, Hausbergwanderer, Weißwurstesser, Trachtenträger, Pilzesammler und Ostereierfärber knallen also alle offenen Türen zu und schotten sich ab von der Welt. Vielleicht sind die meisten von ihnen sogar Vorreiter. Bayerisches Brauchtum sieht schließlich sexy aus, weltweit weiß man, wie Dirndl und Maßkrug aussehen.  Gut denkbar, dass bald auch weniger plakative Regionen  Deutschlands nachziehen und auf Instagram zeigen: Brüderlichkeit passt in ein modernes, globalisiertes Leben.

 

 

Wie der Wunsch nach Heimat missbraucht werden kann: 

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