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Abhörprotokolle aus dem Alltag: Die Macher von belauscht.de im jetzt.de-Interview

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Angefangen hat alles vor einigen Jahren in New York. Weil Morgan Friedman ein unterhaltsames Gespräch, das er auf der Straße zufällig mithörte, der Welt nicht vorenthalten wollte, gründete er kurzerhand die Website overheardinnewyork.com . Schnell stellte sich heraus, dass auch andere Bewohner des Big Apple im Vorübergehen die eine oder andere Merkwürdigkeit aufgeschnappt hatten. Die Seite wurde ein Erfolg; ähnliche Ideen sind inzwischen unter anderem in Dublin, Bukarest und Vancouver umgesetzt. Im deutschsprachigen Raum gehören die Künstlergruppe monochrom mit ihrer „Datenbank des Vorüberschreitens“ sowie die vier Augsburger Studenten Felix Anschütz, Nico Degenkolb, Krischan Dietmaier und Thomas Neumann mit belauscht.de zu den Vorreitern des gepflegten Ohrenspitzens. Jetzt.de sprach mit Felix Anschütz, einem der vier Gründer des deutschen Pendants, über die Lust am Lauschen und die Komik des Augenblicks. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, lustige Gesprächsfetzen zu sammeln und zu veröffentlichen? Ein paar Freunde von uns hatten dasselbe Konzept in Finnland verwirklicht, und dort lief die Seite richtig gut. Wir haben uns dann im August 2006 spontan dazu entschlossen, in Deutschland eine ähnliche Seite aufzubauen. Da wir alle vier befreundet sind, ging das ganz schnell, quasi über Nacht: Thomas ist hauptsächlich für die Gestaltung der Site zuständig, wir anderen teilen uns die redaktionelle Arbeit. Diese sehr lockere Arbeitsteilung funktioniert super – drei von uns wohnen zusammen, da sind die Wege dann auch nicht wirklich weit. Wie funktioniert belauscht.de? Die User schicken uns – unter Angabe eines Namens oder Pseudonyms und eines Ortes – über ein Formular auf der Webseite Beiträge, von denen wir dann täglich einen auswählen und auf der Seite veröffentlichen. Außerdem gibt es eine Kommentier-Funktion, mit der die User einzelne Beiträge diskutieren können, und ein Bewertungssystem, das so ein bisschen zur Selbstkontrolle dient. Seit neuestem kann man Sprüche auch per Mail Freunde verschicken. 2006 haben wir zusätzlich noch einen „Spruch des Jahres“ gewählt, das wollen wir Ende dieses Jahres wiederholen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die User kontrollieren, ihr wählt aus – alles Versuche, das Niveau zu wahren? Ja. Wir bekommen so um die 10 Einsendungen täglich, davon sind aber längst nicht alle richtig witzig. Das sind oft Dialoge, die in Wirklichkeit bestimmt sehr lustig waren, aber aus dem Kontext gerissen fehlt dann einfach was. Würden wir alles freischalten, würde das Niveau schnell sinken, die Seite wäre nicht mehr sehr attraktiv. Außerdem müssen wir rechtsradikale und diskriminierende Inhalte aussortieren, Rechtschreibfehler korrigieren, Formulierungen glätten. Ist es nicht manchmal schwierig, Lustiges von Unlustigem zu trennen? Doch, auf jeden Fall. Obwohl wir alle einen sehr ähnlichen Humor haben, sind wir uns manchmal uneinig bei der Auswahl der Beiträge – und wir sind nur zu viert! Einsendungen auszuwählen, die dem Gros der User gefällt, ist also wirklich nicht einfach. Aber wir tun unser Bestes. Neben der Komik kommt es uns auch auf Originalität und Authentizität an. Da wird dann schon mal aussortiert: urbane Legenden, die jeder schon mal gehört hat und die oft mehrmals eingeschickt werden. Zum Beispiel der Radiomoderator, der am Spätnachmittag „Schönen Tag allerseits – guten Morgen, liebe Studenten!“ verkündet. Schwierig sind auch Kalauer wie die immer wieder gern zitierte Orchesterprobe-Geschichte: „Alle Bläser, die jetzt noch keinen Ständer haben, können hochkommen und sich einen runterholen!“ Tauscht ihr euch heute noch mit der finnischen Partner-Site aus? Wir haben die Seiten gegenseitig verlinkt. Anfangs hatten wir zusätzlich geplant, einige Sprüche monatlich auszutauschen. Wir haben aber schnell festgestellt, dass das nicht wirklich klappt: die fanden unsere Sprüche nicht lustig, wir ihre nicht. Das liegt wohl zum einen an der Übersetzung, durch die viel Sprachwitz verloren geht – zum anderen aber auch daran, dass die Finnen einfach über ganz andere Sachen lachen als wir. Da merkt man die kulturellen Unterschiede ganz deutlich. Drei von euch studieren Kulturgeschichte, du selbst Medien- und Kommunikationswissenschaft. Interessiert euch das Thema auch fachlich? Es ist schon interessant, zu sehen: darüber lacht man also in Deutschland! Es war auch von Anfang an angedacht, dass eine unserer Abschlussarbeiten sich mit dem Projekt auseinandersetzen könnte. Konkrete Pläne hat aber noch keiner von uns. Unsere Hauptmotivation sind der Spaß an der Sache und der Lerneffekt, der bei so einem Projekt zwangsläufig eintritt, so eine Art „learning by doing“. Klingt ja super: Spaß an der Sache, ein gewisser Lerneffekt. Aber hattet ihr nie Interesse daran, die Seite auch kommerziell zu vermarkten, wie StudiVZ & Co.? Anfangs hatten wir uns das schon mal überlegt – aber dazu ist die Seite einfach nicht groß genug. Und die Nutzerfreundlichkeit hat für uns oberste Priorität; Pop-Ups oder Layer kämen nicht in Frage – wir wissen ja alle, wie nervig das sein kann. Wir finanzieren lediglich die Providerkosten über ein Werbebanner. Lauscht ihr heute bewusster als früher? Man achtet schon mehr darauf als früher. Wir stellen uns jetzt nicht extra dafür in die Tram und kriegen große Ohren, aber wenn an der Supermarktkasse etwas lustig ist, ist man natürlich schon sensibilisiert. Gibt es den typischen belauscht.de-User? Nein, die Nutzer kommen aus ganz verschiedenen Altersgruppen und sozialen Schichten. Wirkliche Infos, wer uns da was geschickt hat, bekommen wir ja nicht – dazu ist das Formular zu anonym. Aber man kann dem Schreibstil und dem Kontext, in dem sich ein Gespräch abspielt, viel entnehmen. Und da sind sowohl krasse Bling-Bling-Storys dabei als auch Heiteres aus dem Unterricht oder Geschichten vom Altherrenstammtisch. Das ist aber auch die Idee dahinter: eine Seite für alle, die Lust haben, sich zu beteiligen. Wie sieht die Zukunft aus? Wir wollen so weitermachen wie bisher. Das letzte halbe Jahr waren drei von uns als ERASMUS-Studenten im Ausland, da war die Koordination teilweise etwas schwierig. Aber jetzt sind wir wieder alle in Augsburg und können mit vereinten Kräften neue Ideen angehen! Eine davon ist Overplot , die Verbindung von Gesprächsfetzen mit GoogleEarth. Da kann man auf einer virtuellen Landkarte sehen, was wo belauscht wurde. In den USA ist das bereits realisiert und kommt ziemlich gut an, in Deutschland sind wir hoffentlich auch bald soweit. Letztlich hängt unsere Zukunft aber auch von den Nutzern und ihrem Lauschverhalten ab – wir hoffen also, dass auf Deutschlands Straßen auch zukünftig jede Menge Skurriles und Witziges mitgehört wird! Zwei Berliner in der Backstube und fahrende Adventskalender - was belauscht.de so belauscht hat, erfährst du auf den folgenden Seiten


Berlin, U-Bahnhof Potsdamer Platz. Am überfüllten Bahnsteig des U-Bahnhofs in der Vorweihnachtszeit. Die U-Bahn fährt ein, die Fahrgäste drängen sich auf dem Bahnsteig ungleichmäßig in den Zug und ballen sich am vorderen Waggon. Es ertönt die Stimme des Zugführers über die Lautsprecheranlage: "Ey, dit is hier keen Adventskalender, hier könnse alle Türn gleichzeitig aufmachn!" Berlin, HIT Markt Ullrich. In der Backabteilung. Kunde: "Ich hätte gerne 2 Berliner." Verkäuferin: "Hätt ick och jerne."
Im ICE von Kassel nach München. Kleine Kinder haben ja oft das Problem, im Zug einfach nur still herumzusitzen und sich zu langweilen und denken sich deshalb irgendwelche Spiele aus - erst recht, wenn noch anderere kleine Kinder in der Nähe sind. So offensichtlich auch während einer Zugfahrt von Kassel nach München. Ich schaue gerade gelangweilt aus dem Fenster, als sich folgende Szene abspielt: Die Tür am Ende des Abteils geht auf, und vier kleine Kinder kommen hereingestürmt. Sie zielen mit "Pistolen" (Zeigefinger + Daumen, ihr wisst schon) auf die Leute und "schießen" wild durch die Gegend. Nachdem sie alle im Abteil "erschossen" haben, stürmen sie zum anderen Ende des Abteils. Einer postiert sich vor der Tür und bekommt folgende Anweisung: "Und wenn einer versucht hier durchzugehen, dann schießt du den tot, ja?" Das angesprochene kleine Mädchen nickt mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen... Radiosendung, um die Mittagszeit gegen Eins. Moderator: "Einen schönen guten Tag liebe Zuhörer. Guten Morgen liebe Studenten."
Innsbruck, zwei ungefähr 10jährige Jungs in der Bahn Junge #1: Wie findest du den Sexualkundeunterricht? Junge #2: Ach, ich weiß nicht, bis wir DAS brauchen, haben wir eh schon wieder vergessen wie's funktioniert! Bochum, Universität. Eine Studentin referiert und machte ihre Sache anscheinend nicht sonderlich gut, zumindest kann sie für ihre Thesen keine Belege aus der Fachliteratur aufweisen. Ihr daraus folgendes Fazit: "Obwohl es Hegel und Mommsen nicht schaffen, meine These zu belegen, möchte ich ihre Werke hier nicht abwerten. Für einige Dinge sind sie vielleicht doch nützlich..."

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