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Acht von zehn jungen Leuten wollen mit den Rechten nichts zu tun haben

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Hiphop, Skater-Szene und Punk – das sind die populärsten Jugendkulturen in Ostdeutschland. Die rechte Szene ist dort dagegen out. Das hat das Berliner Archiv der Jugendkulturen in einer Studie herausgefunden, in der etwa tausend Schüler zwischen 14 und 18 Jahren aus den fünf neuen Bundesländern befragt wurden. Das Archiv der Jugendkulturen erforscht seit 1998 systematisch jugendliche Szenen wie Punks, Skinheads, Gothics, Raver oder Fußballfans. Klaus Farin, Leiter des Archivs, hat das Forschungsprojekt betreut. „Keine Jugendkultur zuvor hat so viele Jugendliche aktiviert wie Hiphop“, heißt es in Ihrer Studie. Woran liegt dieser große Erfolg? Zum einen ist die Musik seit Jahren sehr populär und bringt immer wieder neue Stars hervor. Zum anderen kann bei Hiphop jeder mitmachen. Andere Jugendkulturen sind viel konsumorientierter, Hiphop bringt die Jugendlichen dazu, selbst aktiv zu werden. In jedem Dorf gibt es ein paar Sprayer oder Breakdancer, jeder kann rappen, ohne dass er etwas dafür braucht – außer Talent und Kreativität. Wenn man dagegen Rockmusik machen will, braucht man eine Band, Instrumente, die man erst lernen muss und meistens einen Proberaum. Gleichzeitig haben Sie festgestellt, dass ein Teil der Jugendlichen von Hiphop angenervt ist. Der Sinn von Jugendkulturen liegt, neben Freunde und Gleichgesinnte finden zu wollen, vor allem darin, sich gegenüber anderen abzugrenzen. Techno wurde auch irgendwann peinlich, als fast zwei Millionen Menschen auf der Loveparade tanzten, von denen sich der Großteil nicht einmal für Techno interessierte. Die gleiche Entwicklung erleben wir jetzt im Hiphop. Sogar in der Werbung wird mittlerweile Hiphop eingesetzt, es findet eine Vermassung statt. Viele Fans sprechen deshalb vom Ausverkauf der Szene und sind genervt von dem coolen Macho-Gehabe, der Sprücheklopferei und von den gewalthaltigen Texten, die im Hiphop mittlerweile zu finden sind. Für Aggro Berlin interessieren sich heute fast nur noch die 8- bis 14-Jährigen. In der Beliebtheitsskala der Jugendkulturen folgt auf Hiphop direkt Punk. Punk hat sogar einen regelrechten Boom erlebt in den letzten Jahren. Man sollte doch meinen, Punk sei mittlerweile ein alter Hut. Alle Jugendkulturen sind alt. Man kann sogar sagen, dass das ein Kennzeichen von Jugendkulturen ist. Hiphop ist ja auch schon in den Siebzigern entstanden. Wir haben festgestellt, dass es heute mehr Punk-Bands und Fanzines gibt als je zuvor. Punk steht eben immer nocheindeutig gegen rechts. So landen sehr viele, die gegen Neonazis sind, letzten Endes beim Punk. Außerdem wendet sich Punk eindeutig gegen die Spießer- und Konsumgesellschaft. Während Hiphop-Texte schon im Deutsch-Unterricht durchgenommen werden, erregt man als Punk immer noch Aufsehen, weil sich Lehrer und Eltern über Kleider und Frisuren aufregen. Vielen Jugendlichen ist Punk aus diesen Gründen wiederum zu radikal, deshalb liegt Punk auch auf der Antipathieskala auf Platz zwei. Insgesamt gehören etwa 20 bis 25 Prozent der Unterdreißigjährigen einer Szene an. Bei der Gothic-Szene sieht es ganz ähnlich aus wie beim Punk. Auch diese Szene polarisiert, hat aber einen Boom erlebt. Und: Es ist die einzige nicht männlich dominierte Jugendkultur. Woher kommt das? Die Hälfte der Gruftis sind tatsächlich Frauen. Die Gothic-Szene ist eine Gymnasiastenkultur. Über Probleme reden statt sie zu verdrängen ist hier sehr wichtig, was weiblichen Kommunikationsformen entgegen kommt. Eine große Rolle spielt auch Literatur und Mädchen lesen wesentlich mehr als Jungs. In Magazinen wie Zillo werden seitenweise Gedichte abgedruckt und auch in Kontaktanzeigen wird gerne Rilke zitiert oder eine selbst gedichtete Zeile an den Anfang gestellt und nach Seelenverwandten gesucht. In welcher anderen Szene gibt es so etwas schon. Außerdem lehnen die Gruftis Gewalt ab und es wird kaum gesoffen, was für Mädchen ebenfalls wichtig ist. Hinzu kommt der androgyne Stil, auch Männer schminken sich und ziehen Kleider an. Fälschlicherweise werden Gruftis aber in den Medien oft mit Satanisten gleichgesetzt und in der Schule als Sekte behandelt. Das schreckt natürlich viele ab – daher die Polarisierung. Das sicherlich überraschendste Ergebnis der Studie: Die rechte Szene ist auch im Osten out. In den Medien liest man ja normalerweise das Gegenteil. Natürlich: weil fünf besoffene Neonazis, die „Sieg heil!“ gröhlen, große Schlagzeilen bekommen, eine Jugendgruppe, die sich täglich gegen Rassismus engagiert, den meisten Zeitungen keine Meldung wert ist. Die rechtsextreme Szene ist in den meisten Regionen vom Personal her aber kleiner, als es die Medienberichte befürchten lassen. Die NPD-Jugendorganisation etwa verfügt bundesweit über weniger als 500 Mitglieder, in Thüringen sind es gerade mal 50. Aber: Man braucht nur wenige Leute, um Terror auszuüben. Wenn acht Neonazis vor einem Jugendclub oder an öffentlichen Plätzen rumhängen, dominieren sie das Stadtbild und schüchtern andere Menschen ein. Aus Angst verprügelt zu werden, kleiden sich viele Jugendliche deshalb zum Beispiel nicht als Punk. Aber wenn man sie fragt, sagen acht von zehn, sie wollen mit den Rechten nichts zu tun haben. Das war Anfang der Neunziger noch anders. Abschreckend wirken für die Jugendlichen vor allem das rigide Auftreten der Rechten, ihre Gewalttätigkeit, die Sauferei und das sektenhafte Leben in einer eigenen Welt. Die Rechten lehnen ja alles ab, was ein wenig anders ist: Hiphop ist undeutsch, Hollywood ist jüdisch, skaten darf man nicht und beim Mexikaner essen auch nicht. Das ist ein tristes Leben für einen jungen Menschen. Was ist mit der Musik aus der rechten Szene. Das Landser-Verbot ging durch die Medien genauso wie die Aktion der NPD, die CDs mit rechter Musik auf Schulhöfen verteilt hat. Jeder kennt Landser und jeder hat das auch schon gehört oder sich runtergeladen. Rechtsrock ist vor allem deshalb interessant, weil er verboten ist. Das muss man dann haben und gehört haben. Die Musik finden die meisten aber grottenschlecht. Manche Rechtsrock-Bands verschicken ihre CDs inzwischen direkt an Journalisten, damit sie besprochen und danach verboten werden. Indizierungslisten sind Hitlisten auf den Schulhöfen. Warum hat das Interesse an der rechten Szene abgenommen? Andere Jugendkulturen sind heute wesentlich präsenter als noch vor zehn Jahren. Überhaupt sind Jugendkulturen durch den Internetboom und die Medienentwicklung stärker im Bewusstsein. Dadurch ist die Konkurrenz für die rechte Szene größer geworden. Es gibt bei den Sympathiewerten kein Stadt-Land-Gefälle mehr. Früher musste man nach London reisen, um Doc Martens-Schuhe zu kaufen, heute gibt es sie sogar oft in normalen Schuh-Filialen. Auch die Industrie bedient sich immer schneller bei den Subkulturen. Gruftis können ihre Klamotten heute schon bei H&M kaufen. Das gab es Anfang der Neunziger nicht. Dadurch werden die Szenen auch durchlässiger, man kann schneller dazugehören. Was ist Ihr Fazit aus der Studie? Man sieht, dass ein wichtiges Mittel im Kampf gegen die rechte Szene die Förderung anderer Jugendkulturen ist. Wenn die Konkurrenz stark ist, haben es Rechtsextreme schwer. Auffallend ist auch, dass junge Menschen - entgegen der weit verbreiteten Meinung in der Erwachsenengesellschaft - Gewalt und Intoleranz so sehr ablehnen wie sonst keine andere Generation. Fair Play und Toleranz sind extrem wichtig. Würden mehr Erwachsene so denken wie die Jugend, wäre unsere Gesellschaft zivilisierter.

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