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Am liebsten würde ich in einer Frauenband spielen

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jetzt.de:  Deine Musik, deine Bücher und Theaterstücke und vor allen Dingen deine Auftritte mit Studio Braun sind ja oft Bekenntnisse gegen den Sinn. Michael Sonntag verweigert sich dem Sinn, indem er gar nicht erst irgendwas tut. Ist Sonntag deine konsequentere Hälfte?
Rocko Schamoni: Naja, die Wahrheit daran ist, dass ich zwar die Verweigerung schätze und mich auch selber häufig verweigert habe, aber ewige Verweigerung mündet irgendwann in Stillstand. Auf eine gewisse Form ist diese Schreiberei die ich betreibe kokett. Sonntag ist mein persönlicher Sklave und ich peitsche den durch eine Welt, durch die ich dann selber nicht mehr gehen muss. Ich hab selber auch Jahre damit verbracht mit der Welt zu hadern. Da habe ich die Waffen komplett niedergelegt. Aber ich schätze es auch, ab und zu aus dieser Verweigerungshaltung raus zu gehen und auf die Dinge zu zugehen.

 „Tag der geschlossenen Tür“ ist ja nicht nur witzig und ironisch. Da ist viel ehrlicher Zorn und Welt-Ekel. Bist du ernsthafter geworden?
Ich war immer schon ernst. Ich hab nur, wenn ich mich auf eine Bühne stelle, für mein Empfinden, die Verpflichtung, die Leute zu unterhalten. Da bringt’s dann nichts, wenn ich mich hinsetze und eineinhalb Stunden politische Exkurse vortrage. Aber privat bin ich ein vergleichsweise ernster Mensch, der auch ziemlich streng mit sich selber ist. 

Wenn Michael Sonntag den Hafengeburtstag oder den Schlagermove beschreibt, dann hat man das Gefühl, diese Events sind apokalyptische Heimsuchungen. Ist Hamburg noch zu retten?
Ne, zu retten ist das nicht mehr. Wenigstens die Welt, aus der ich komme, ist nicht mehr zu retten. Die ist am Untergehen und verschwindet. Ich sage nicht, dass es früher besser war. Für die Jüngeren ist es ganz normal, dass die Welt jetzt so ist, wie sie ist. Aber ich halte da, glaub ich, an etwas fest, das es nicht mehr gibt. In der Welt, die ich früher kannte, haben das Zusammensein und die Gemeinsamkeit der Menschen eine andere Rolle gespielt als es das heute tut.

Du beschreibst die jüngere Generation oft als passiv und konsumgesteuert. Musstest du deine Meinung nicht ändern, als in Hamburg das Gängeviertel besetzt wurde?
Absolut. Ich habe das auch unterstützt und viele von den Leuten kennengelernt, die mitgemacht haben. Das war ein Hoffnungsschimmer, der jetzt ja sogar noch größer ist, mit Stuttgart und der Anti-AKW-Bewegung. Da ist etwas am Wiedererstarken von dem ich dachte das gibt’s nicht mehr. Das Pendel, das so zwischen Reaktion und Aktion hin und her pendelt, das war sehr, sehr weit in Richtung Reaktion ausgeschlagen und vielleicht kommt’s jetzt grad zurück.

 Du schreibst, dass Michael Sonntag nicht mehr zu denen gehört, „die um den inneren Kreis des Feuers tanzen“. Das klingt ja nach so einem „naja da ist schon noch ein Feuer, da tanzen schon auch noch Leute, aber irgendwie versteh ich die einfach nicht mehr“.
Nee, da geht’s ums Sexuelle. Es geht um den Verlust des sexuellen Glanzes, den man im Kern der Jugend am Stärksten ausstrahlt. Mit fortschreitendem Alter ist man dem nicht mehr so komplett ausgeliefert, wie die Motte dem Licht. 

Und dann schreibt man Bücher, als Substitution für Sex?
Das Schöne ist, sich vorzustellen, dass andere durch das, was man schreibt erregt werden. Faszinierende Vorstellung. Ich hab viele erotische Bücher gelesen. Ich weiß nicht, was das Kalkül der Schreibenden war, aber wahrscheinlich ging’s ihnen ebenfalls um Erregung Fremder und das hat häufig bei mir funktioniert.

Du willst die Leser erregen?
Da sind ja unterschiedliche Beschreibungen zu dem Thema im Buch. Wenn auch nicht mehr so klar wie im letzten Buch. Da gab’s eine Szene, die sehr explizit von Geschlechtsverkehr in Graz erzählt. Ich hab mich nie getraut diese Stelle vorzulesen. Bis auf in Graz vor zwei Jahren. Wider Erwarten haben die Leute dann sehr viel gelacht. Was sonderbar war, weil es wirklich sehr sexuell war. Die haben durch Lachen versucht, diese sexuelle Anspannung loszuwerden. Das war irgendwie gut. Es hätte mir aber auch gut gefallen, wenn die geschwiegen hätten und erregt gewesen wären.

Du verkündest auf Lesungen ja gerne mal, dass du noch Trinkkumpanen für danach suchst. 
Ja, das gehört zum Spiel

Gehst du dann wirklich mit den Leuten trinken?
Manchmal. Ich gehe nicht in eine Stadt, um meine Arbeit zu tun, mein Geld abzugreifen und dann ins Hotel zu gehen. Das ist mir zu langweilig. Ich schau schon immer, ob’s noch was zu entdecken gibt. Aber häufig wollen die Leute halt noch Schnaps trinken in irgendeiner Abstürze und das mach ich dann meist nicht mehr mit.

Obwohl Schnaps trinken ja eine ehrliche Sache ist.
Ja, schon. Aber Jacques Palminger hat gerade ganz richtig gesagt: „Wir Reisenden, die auf Bühnen stehen, wir fahren durch die Städte und wir werden geopfert für eine wilde Nacht.“ Und dann gehen wir mit und lassen uns fallen mit diesen Leuten, die sich zerstören wollen für eine Nacht, aber am nächsten Tag geht deren normales Leben weiter. Wenn wir das jede Nacht machen würden, dann kommen wir als Zombies zurück von diesen Reisen.

Michael Sonntag verachtet Menschen, die Events besuchen. Sind dir die Leute sympathisch die zu deinen Lesungen kommen?
Bei meinen Lesungen sind ja keine Massen, das sind vielleicht eher Mengen. Aber Leute die sich auf so Großveranstaltungen begeben, die geben meiner Ansicht nach das freie Denken an irgendeiner Pforte ab. Diese Massenveranstaltungen in Hamburg, die den Großteil der kulturellen Geschehnisse ausmachen, die in dieser Stadt überhaupt noch stattfinden, die find ich alle wirklich scheiße. Ich find die Harley Days scheiße. Ich find den Motorradfahrergottesdienst scheiße. Ich find den Hafengeburtstag scheiße. Auch wenn ich die Einzelnen, die dort hingehen, vielleicht wahnsinnig gern haben würde, wenn ich sie denn kennen würde. Aber als grobe Masse, die dort hinströmt, sind die mir total unheimlich.

Könnte Hamburg unter Olaf Scholz jetzt wieder erträglicher werden?
Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, dass sich jetzt einiges zum Positiven wenden könnte. Allein schon die Ansage von Scholz, dass die Flora nicht geräumt wird, fand ich erstaunlich. Dass er dazu steht, dass da ein Haus besetzt bleibt. Aber die Regierung macht ja nicht wirklich das Bestimmende einer Stadt aus. Das Bestimmende einer Stadt machen diejenigen aus, die die Stadt besitzen. Das sind in Hamburg fünf Prozent der Menschen, denen 80 Prozent der Stadt gehören. Die verändern sich nicht, da habe ich wenig Hoffnung.

Aber die Leute, denen die Stadt gehört sind, doch die Gleichen wie in den Achtzigern. Was war denn damals anders?
Die Stadt war damals noch kriegsversehrt. Überall klafften Lücken. Es gab sehr viele alte schrottige Häuser und ganze Viertel die verkommen waren, wo Leute gewohnt haben, die kein Geld hatten. Randständige. Und das hat diesen Vierteln ein offenes und freies Flair gegeben. Das gibt’s nicht mehr. Die Lücken sind zugebaut und die alten Häuser sind abgerissen worden, um irgendwelche Lofts hinzustellen.

Ist denn ein verfallenes Haus immer schöner als ein renoviertes?
Die reichen Deutschen fahren ja gerne in angeranzte italienische Badeorte, mit schiefen Häusern, wo die Farbe von den Wänden blättert und staunen mit offenen Mündern, wie schön das alles ist. Und dann kommen sie zurück nach Hamburg und bauen glatte, neue Ziegelhäuser oder Glasbürobunker. Meiner Ansicht nach ist das Alte immer das Attraktivere, weil man ihm die Geschichte der Menschen ansehen kann. Und diese Geschichte füllt Architektur und Städte mit Zauber aus und mit Glanz und mit Tiefe.

Und du selber wohnst in einem verrotteten Haus?
Ich wohne in einem hundert Jahre alten Fabrikhaus, wo man auch die alten Schalterzentralen noch sehen kann. Und der Golden Pudel Club, am Hafen, wo ich ja Mitinhaber bin, ist in einem dieser alten Fischerhäuser. Wir haben das jetzt renoviert und konnten es zwar nicht genauso erhalten, wie es mal war, aber immerhin stehen die alten Grundmauern.

Lass uns kurz noch über Frauen sprechen. In der Welt von Michael Sonntag sind Frauen ja nicht viel mehr als  Objekte der Begierde und Bewunderung. Du selber bist ja mit Heinz Strunk und Jacques Palminger auch eher in so einer Jungswelt unterwegs. Kannst du mit Frauen überhaupt zusammenarbeiten?
Unbedingt. Wenn ich noch Musik machen würde und es mir aussuchen könnte, würde ich am liebsten in einer Frauenband spielen. Das würde dann wahrscheinlich nicht funktionieren, weil ich ein Mann bin. Ich finde das Zusammenarbeiten mit Frauen bereichernd und kann immer nur wieder feststellen, wie viel sozial fähiger Frauen eigentlich sind. Aber es gibt nun mal Bereiche, bei denen nicht so viele Frauen unterwegs sind, zum Beispiel in der Rockmusik. Zumindest als ich angefangen habe in der Szene unterwegs zu sein, haben einfach nicht so viele Frauen Rockmusik gemacht.

Aber das ist doch genau das Problem, dass man Frauen als die sozialeren Wesen begreift, die zwar total nett und höflich sind, aber eben keine Rockmusik machen.
Da kann ich aber nichts dafür, dass die das nicht tun.

Aber so krawallige Projekte wie der Studio Braun Bürgertreff, warum sind das immer Männergruppen? 
Weil es da um Gegockele geht. Und Gegockele wird nun mal einfach von Gockeln gemacht. Lautes, dominantes, manchmal unangenehmes, forsches bisweilen auch prolliges Auftreten wird in der Regel von Gockeln betrieben, die sich vor Frauen aufspielen wollen. Es liegt so ein bisschen in der Verteilung der Geschlechterrollen, die wir haben. Ich find’s jetzt auch nicht total erstrebenswert, dass sich das sofort umdreht. Ich finde zwar laute und anstrengende Frauen interessant, aber die meisten Frauen sind halt nicht so. Eigentlich finde ich Rock auch total bescheuert. Wenn ich mir dann vorstelle, dass Frauen diese Poser-Haltung auch noch annehmen müssten, wäre das grauenvoll.

Frauen sorgen also für das letzte bisschen Schönheit auf der Welt.
Du willst mir die ganze Zeit so eine reaktionäre Haltung unterstellen! Die habe ich überhaupt nicht. Ich finde die Geschlechterrollen, so wie sie zur Zeit verteilt sind, einfach nur immer wieder erhellend und inspirierend für die Kunst, die ich mache. Es geht dabei ja häufig um Balz. Darum, wie man die anderen verführen kann. Und das finde ich nicht abschaffenswert. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


"Tag der geschlossenen Tür" von Rocko Schamoni ist Anfang des Jahres bei Piper erschienen.

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