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"An einer Pseudo-Bewertung wollen wir nicht teilnehmen"

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Schluss mit den Ampelbewertungen! Das fordert zumindest die Deutsche Gesellschaft für Soziologie: Sie will beim Hochschulranking des Centrums für Hochschulentwicklung nicht mehr mitmachen. Das Ranking, das für viele Studienfächer Hochschulen miteinander vergleicht, kennt man als CHE-Ranking und wird in der Zeit und im Zeit-Studienführer veröffentlicht. Dort werden die Standorte nach verschiedenen Kriterien bewertet und in Spitzen-, Mittel- und Schlussgruppen eingeteilt. Farblich wurde die Beurteilung lange mit Ampelfarben verdeutlicht, das böse Rot wurde allerdings inzwischen durch ein neutraleres Blau ersetzt. Doch die Soziologen stören sich noch an deutlich mehr als dem Farbschema des Rankings. Soziologie-Professor Stephan Lessenich von der Uni Jena ist stellvertrender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und hat die Kampagne mitinitiiert. Sein Institut ist vorangesprescht mit dem Boykott des CHE-Rankings, nun spricht sich die DGS insgesamt gegen das Ranking aus. Warum, hat er uns im Interview erklärt.   

Jetzt.de: Herr Lessenich, Sie haben initiiert, dass die DGS sich für einen Ausstieg der Soziologie aus dem CHE-Ranking ausspricht. Wie schneidet denn eigentlich Ihr Institut an der Uni Jena im Ranking ab?
Stephan Lessenich: Wir haben zuletzt zweimal sehr gut abgeschnitten und sind ziemlich weit oben in der Spitzengruppe des CHE-Rankings gelandet. Aus so einer Position der Stärke lässt sich natürlich eher gegen das Ranking und dessen methodische Dürftigkeit argumentieren, als wenn wir in der schlechtesten Gruppe beheimatet wären und es dann so aussähe, als würde man sich nur wegen des schlechten Abschneidens dagegen stellen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Stephan Lessenich

Welche Probleme haben Sie mit dem CHE-Ranking, so dass Sie Ihren Fachkollegen und auch anderen Fächern empfehlen, sich nicht mehr bewerten zu lassen?
Beim CHE-Ranking handelt es sich um eine Form empirischer Sozialforschung. Jeder, der Soziologie studiert, bekommt mindestens Grundkenntnisse der empirischen Sozialforschung vermittelt, oft auch eine weitergehende Ausbildung. Wenn man sich das CHE-Ranking mit unserem Fachwissen anschaut, dann sieht man, dass die Untersuchung schon von der Anlage her extrem zweifelhaft ist. Auf Grundlage dieser wirklich schlechten Empirie sollen aber Studieninteressierte ihre Entscheidung treffen, an welcher Uni sie ein Fach studieren wollen.  

Warum genau halten Sie die Ergebnisse des CHE-Rankings für fragwürdig?
Es gibt viele methodische Probleme. Etwa, wie die Stichprobe ausgewählt wird, also wer überhaupt befragt wird. Dann gibt es außerdem eine extrem geringe Rücklaufquote, das bedeutet, es machen zum Beispiel in der Soziologie unter 20 Prozent der Angeschriebenen mit. Warum die restlichen über 80 Prozent nicht teilnehmen und ob sie sich in entscheidenden Merkmalen von den Teilnehmenden unterscheiden, wird nicht hinterfragt. An manchen Hochschulen werden durch die geringen Rücklaufquoten weniger als 30 Studierende befragt. Gleichzeitig fließen viele für die Studienqualität wichtige Merkmale gar nicht in das CHE-Ranking ein. Wie viele Studierende kommen auf einen Dozenten? Wie voll sind die Seminare? Wie ist das Prüfungsamt organisiert? Diese Dinge sind sehr wichtig im Studienalltag, gehen aber nicht in die Bewertung ein. Über die Qualität der Institute kann das Ranking also keinen Aufschluss geben. An so einer Pseudo-Bewertung wollen wir nicht länger teilnehmen.

Beobachten Sie oder beobachten Kollegen, dass sich viele Studenten bei der Entscheidung für eine Hochschule von dem Ranking leiten lassen?  
Soweit wir das anhand von Studierendenbefragungen sagen können: Nein, glücklicherweise nicht. Sogar hier in Jena nicht, obwohl wir ja sehr gut abgeschnitten haben. Dafür hat das CHE-Ranking aber hochschulpolitisch problematische Folgen. 

Welche sind das?
Bei schlechten Ranking-Ergebnissen kommt es vor, dass Institute daraufhin von den Hochschulleitungen unter Druck gesetzt werden. Auch in den Ministerien werden die Platzierungen der Hochschulen im Ranking sehr aufmerksam beobachtet. Häufig wird von Entscheidungsträgern auch in Aussicht gestellt, dass an das weitere Abschneiden wichtige Entscheidungen geknüpft werden. Wir fürchten daher, dass durch die fragwürdige Unterteilung in vermeintlich „bessere“ und „schlechtere“ Institute diese auf lange Sicht überhaupt erst entstehen, weil die „guten“ Institute strukturell bevorzugt werden. Dann gibt es am Ende wirklich gute oder schlechte Standorte.  

Das CHE-Ranking gibt es schon seit den 90er Jahren. Warum äußern Sie Ihre Kritik erst jetzt? Das stimmt, wir haben sehr lange mitgemacht. Unter anderem weil wir nicht den Eindruck erwecken wollten, dass wir Informationen verweigern wollen, dass wir Studieninteressierten nicht die Möglichkeit geben wollen, sich über die unterschiedlichen Standorte zu informieren. Die Bedenken, die wir jetzt äußern, gab es in der DGS auch schon früher. Man hat aber nicht den Mut gehabt, sich gegen das CHE zu stellen. Was ja auch einiges sagt über die Bedeutung des CHE in der deutschen Hochschulpolitik.  

Statt nicht mehr mitzumachen könnte man ja auch die Untersuchung verbessern. Sind Sie mit ihrer Kritik denn auch auf das CHE zugegangen? 
Ja, natürlich. Unsere Gespräche mit den CHE-Verantwortlichen haben aber ergeben, dass das CHE unsere Einwände nicht berücksichtigen will. Wir haben angeregt, dass die Ergebnisse für die Soziologie zwar veröffentlicht werden, aber ohne eine Rangliste, die wir wegen der zweifelhaften Datengrundlage für irreführend halten. Darauf wollte man sich dort aber nicht einlassen. Das CHE sagt: Wir sind kein Hochschulinformationssystem, wir sind ein Bewertungssystem. Damit war für uns klar, dass wir uns gegen eine weitere Beteiligung am CHE-Ranking aussprechen – und hoffen, dass sich die Institute und die Studierenden nicht an der nächsten Erhebung beteiligen werden. Und dass sich andere Fachgesellschaften anschließen. Wir haben auch schon Signale aus benachbarten Fächern erhalten, dass das Ranking dort ebenfalls sehr kritisch diskutiert wird.  

Gibt es denn andere Rankings, an denen sich Studieninteressierte Ihrer Meinung nach besser über Studienmöglichkeiten informieren können?
Es gibt, allerdings nur für die Soziologie und die Chemie bisher, das Rating des Wissenschaftsrates, das wesentlich differenzierter und genauer ist als das CHE-Ranking. Wenn man die Informationen aus dem CHE-Ranking nutzen will, dann sollte man sich unbedingt im Netz die Daten anschauen, dort werden alle Kriterien aufgeführt. In der Printveröffentlichung werden nur einige der Kriterien aufgeführt. Dabei sollte man sich aber von der pauschalen Rangliste nicht beeinflussen lassen. Ich würde empfehlen, die CHE-Ampeln zu vergessen und nach einer Vorauswahl zwei, drei Unis vor Ort anzuschauen. 

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