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Auf der getroffenen Insel

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jetzt.de: Malte, bevor du nach Island gegangen bist, hast du bei einem Fotografen in Berlin und in einer Booking Agentur gearbeitet. Was war der Auslöser für deinen Fortgang? Malte: Ich wollte einfach eine gewisse Zeit im Ausland verbringen und habe nach einer unkomplizierten Lösung dafür gesucht - und eine gefunden. Ich bin über den Europäischen Freiwilligendienst hierher gekommen. Das ist ein Programm der EU, das es ermöglicht, für eine bestimmte Zeit bezahlt im Ausland zu arbeiten. Und Island hat mich schon immer aus vielen Gründen fasziniert. Warum? Island ist für mich mehr als gute Musik und skurrile Lavalandschaft - aber natürlich sind auch das zwei wichtige Faktoren gewesen. Hauptsächlich ist es die Kunst- und Kulturszene, die mich hier am meisten fasziniert. Ich mag die Atmosphäre und den Charme von Reykjavik. Die Stadt ist irgendwie einfacher als alle anderen, die ich bis jetzt für längere Zeit besucht oder belebt habe. Es ist schwierig, das in Worte zu fassen. Darüber hinaus ist das Licht hier ganz speziell und anders.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Malte. (Foto: Stuart Richardson/stuartrichardson.com) Ist es gerade besonders günstig, in Island zu leben? Wie wohnst und arbeitest du? Allgemein ist das Leben hier durchaus ein wenig teurer als zum Beispiel in Berlin. Ich komme damit aber zurecht. Ich lebe bescheiden in einer WG am Rande der Innenstadt, aber mit großartigem Ausblick auf Stadt, Meer und Berge. Und ich arbeite fest angestellt in einem Kunst- und Kulturzentrum für junge Menschen, wo ich unter anderem Ausstellungen, Konzerte und Kunstfestivals organisiere. Zurzeit bin ich Fotograf für das Straßentheater-Projekt Reykjavík. Und natürlich bietet Island viele interessante fotografische Motive, nicht nur landschaftlich. Ich bin dankbar, dass ich hier so viele Möglichkeiten geboten bekomme, mehr im Bereich der Fotografie zu arbeiten. Eigentlich empfinde ich die Fotografenszene hier viel angenehmer als in Berlin. Berlin ist einfach in vieler Hinsicht überladen, gerade im Medienbereich. Das macht es für junge Fotografen nicht gerade einfach.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Snæfellsness, Island. Aufgenommen von Malte. Die Finanzkrise hat der Insel ordentlich zugesetzt. Warum hast du dich entschieden, genau jetzt dorthin zu gehen? Der Zeitpunkt hat sich zufällig ergeben. Meine Arbeit in Berlin ging zu Ende und ich habe mich nach etwas Anderem umgeschaut. Dann ist alles ziemlich schnell passiert. Als ich hier in Island ankam, war die Finanzkrise auf ihrem Höhepunkt und wurde schnell zum politischen Problem. Die Straßen waren fast jeden Tag mit Demonstranten gefüllt. Das war alles ziemlich aufregend. Ich war gerade mal zwei Wochen in der Stadt und genau an diesem Tag hat das damalige Parlament seine Arbeit wieder aufgenommen. Das Parlamentsgebäude ist nur einen Meter von meinem Büro entfernt, somit konnte ich die riesige demonstrierende Menschenmenge davor nicht überhören. Ich bin also auch dorthin, um mir das anzusehen. Tausende standen um das Parlamentsgebäude herum und schlugen mit Löffeln auf Töpfe - eine friedliche, schreiende Masse von Studenten, Müttern, arbeitslosen Fabrikarbeitern und wohlbekannten Musikern. Irgendwann starteten sie ein großes Feuer vor dem Parlament und verbrannten ihre Protestschilder. Ein paar Tage später kamen sie mit neuen Schildern wieder. Wie macht sich die Krise im Alltag bemerkbar? Ich würde behaupten, dass es ruhiger geworden ist. Die Isländer wirken auf mich aber sehr aktiv. Es gab von Anfang an Proteste und Demonstrationen, was hier überaus selten ist. Die Menschen wussten ziemlich schnell, was sie wollen und haben sich dafür eingesetzt. Ich fand das beeindruckend. Viele haben ihren Job verloren. Aber mir kommt es vor, als sei das kein Tabuthema. Auch junge Menschen sind davon betroffen, und gerade zur Zeit der Demonstrationen hat man viele junge Menschen in den Straßen gesehen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Natalie. Auf Island von Malte aufgenommen. Welche Rolle spielt Geld in Island denn gerade? Geld spielt natürlich eine Rolle, genau wie fast überall. Aber die Menschen sind hier nicht so sehr darauf fixiert, obwohl die meisten es in den letzten Jahren sehr gut hatten. Das Einkommen stimmte, der Lebensstandard war hoch. Und auf einmal kam die Finanzkrise und jeder hat sein Edelklasse SUV zum Verkauf angeboten. Die Isländer sind irgendwie sehr dankbar, habe ich den Eindruck. Es sind ziemlich kreative und sich gegenseitig unterstützende Menschen. Ich habe keinen direkten Vergleich zu den vergangenen Jahren hier, aber trotz Finanzwahnsinn und politischen Tapetenwechsel engagieren sie sich sehr viele für Kunst und Kultur. Glaubst du, viele kommen nun nach Island, weil die Reisen günstiger werden? Im Sommer waren sehr viele Touristen hier. Ich habe selten so viele Deutsche auf einer so kleinen Insel gesehen. Das mag auch großteils an dem großzügigem Wechselkurs liegen. Davon habe ich ja anfangs auch sehr profitiert. Und der Tourismus ist natürlich gut für das Land. Manchmal finde ich das gut, manchmal sind mir die reisenden Massen aber auch unheimlich. Obwohl - ich bin ja selbst auch nur ein Langzeittourist. Wie siehst du deine Zukunft dann hier in Deutschland? Ich werde mich wohl bei einigen Hochschulen bewerben, und hoffentlich auch von irgendeiner genommen werden. Angst habe ich vor der Finanzkrise nicht. Natürlich wird es, wie auch hier, einen gewissen Einfluss auf den Alltag haben. Aber ich bin nicht wirklich ein materialistischer Mensch. Ich denke, ich bin mit dem, was ich habe, ziemlich zufrieden. Mehr über und von Malte auf maltecornelius.com und im Blog thecitywilleatyou.

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